Sechs von 18 Rennen der MotoGP-Saison 2014 sind vorbei, also genau ein Drittel der Weltmeisterschaft – und es deutet momentan alles darauf hin, dass sich Marc Marquez mit erst 21 Jahren bereits zum zweiten Mal den Titel in der Königsklasse holen wird.
Der Honda-Werksfahrer hat alle bisherigen Rennen gewonnen – teilweise auf vernichtende Art und Weise für die Konkurrenz, etwa bei seiner Aufholjagd in Le Mans, teilweise aber auch nach zermürbendem Kampf, wie gestern in Mugello gegen Jorge Lorenzo.
„Was für ein Rennen! Das war mit Abstand das beste Rennen des Jahres“, schwärmt Tech-3-Teamchef Herve Poncharal. „Der Kampf zwischen Marquez und Lorenzo war unglaublich – und wir haben Jorge endlich wieder in Topform erlebt. Das ist toll für den Sport.“ Auch Stefan Bradl, der das dramatische Finish nach seinem Sturz auf dem Bauch liegend im Fernsehen verfolgte, war von dem elektrisierenden Duell beeindruckt: „Cooler Sport!“ Und MotoGP-Experte Alex Hofmann ist sich sicher, dass „beide auf der letzten Rille“ waren.
Aber so spannend das Rennen gestern auch gewesen sein mag, so eindeutig ist die Situation in der Weltmeisterschaft. Denn während Marquez einen Sieg nach dem anderen feiert, verlor Teamkollege Dani Pedrosa in Mugello erneut zwölf Zähler, sodass er den zweiten WM-Rang an Valentino Rossi abgeben musste. Selbst der hat aber schon 53 Punkte Rückstand auf Marquez. Marquez kommt damit am 13. Juli auf jeden Fall als WM-Leader zum Grand Prix von Deutschland auf dem Sachsenring.
Rossi wünscht sich Sperre für Marquez
„Ich hoffe, dass sie Marc für drei oder vier Rennen sperren. Das wäre für alle ein bisschen unterhaltsamer“, grinst Verfolger Rossi, der sich längst damit abgefunden hat, dass Marquez momentan in einer eigenen Liga fährt. Quer durch den Paddock sehen die MotoGP-Stars ein, dass gegen den kleinen Spanier zumindest 2014 kein Kraut gewachsen ist – und gegen seinen zweiten WM-Titel würde sowieso niemand mehr wetten. Wenn er unverletzt bleibt, ist er auf dem Weg zur Weltmeisterschaft unaufhaltsam.
Die Frage, die lange niemand zu fragen wagte, langsam aber zum Thema wird, ist viel eher: Ist es möglich, alle 18 Saisonrennen zu gewinnen? „Ich halte das für unmöglich. Ich hoffe aber, dass er es schafft, denn so etwas hat es noch nie gegeben“, geht Ducati-Pilot Cal Crutchlow auf die langsam entstehenden Spekulationen ein. „Die Buchmacher haben die Quote darauf schon von 500:1 auf 9:1 herabgesetzt. Vielleicht stecke ich da ja auch einen Zehner rein!“
Crutchlows Teamkollege Andrea Dovizioso glaubt jedenfalls nicht, dass sich Marquez zurücknehmen wird, um seinen Vorsprung zu verwalten: „Ich kenne Marc nicht gut, aber ich glaube, er kann versuchen, jedes Rennen zu gewinnen, anstatt den Vorsprung zu verteidigen. In seiner Situation kann er es sich erlauben, auch mal Risiken einzugehen. Er ist klarer WM-Favorit und kann vielleicht alle Rennen gewinnen. Sein Selbstvertrauen ist auf dem Höhepunkt. Das ist der richtige Moment, jederzeit anzugreifen.“
2013 reichten 334 Punkte zum WM-Titel
Momentan hält Marquez beim Maximum von 150 Punkten, nach lediglich sechs Rennen. Diese Barriere durchbrach er 2013 erst beim neunten Saisonlauf in Laguna Seca (nach dem er 163 Zähler auf dem Konto hatte). Und selbst da sah er drei Rennen vor Schluss schon wie der sichere Champion aus, obwohl Lorenzo mit einem Hattrick im WM-Finish noch einmal gefährlich nahe kam. Den zweiten Titel verhindern kann wohl nur noch eine Verletzung – und die wünscht ihm niemand.
Zu groß ist auch unter Fahrerkollegen der Respekt vor Marquez‘ Leistungen: „Er hat die MotoGP auf ein neues Level gesetzt. Was der hier demonstriert, ist schon phänomenal“, sagt LCR-Honda-Pilot Bradl im Interview mit ‚Motorsport-Total.com‘. „So ein Talent wie ihn gibt es nur alle 20 Jahre.“ Auch Dovizioso sieht Marquez momentan in einer eigenen Liga: „Mugello galt auch nicht als Honda-Strecke. Lorenzo hatte die letzten drei Rennen hier gewonnen. Marquez hat einfach fast jede Situation im Griff.“
Marquez: Mugello-Wochenende ein Formtief?
Pedrosa nickt zustimmend: „Jorge hat ihm heute einen guten Kampf geliefert, aber Marc konnte es trotzdem zu seinen Gunsten zu Ende bringen. Im Moment ist er einfach in bestechender Form.“ Bezeichnend: Marquez selbst scheint den knappen Sieg in Mugello schon als Formtief zu werten. „Man kann halt nicht in jedem Qualifying und jedem Rennen stark sein. Das Wichtigste im Hinblick auf die Weltmeisterschaft ist die Konstanz“, sagt er.
Und selbst das ist im Gegensatz zu 2013 keine Schwäche mehr: „Im Moment ist Marc der einzige Fahrer, der wirklich konstant ist. Er fährt super und macht dieses Jahr auch keine Fehler mehr“, meint Pedrosa anerkennend. „Er macht das wirklich sehr gut, aber ich muss in die Zukunft schauen. Mein Ziel ist natürlich, beim nächsten Rennen schneller zu sein, näher an ihn ranzukommen und von der ersten bis zur letzten Runde ein gutes Rennen zu zeigen.“
„Marquez ist unglaublich, ist in jeder Situation schnell“, lobt Dovizioso. „Lorenzo hatte bisher eine merkwürdige Saison. Heute war das Tempo aber enorm hoch – das war wieder der normale Lorenzo. Es kommt ganz drauf an, ob die nächsten Rennen auch so laufen werden. Ich glaube, dass er Marquez in vielen Rennen herausfordern kann. Valentino auch im einen oder anderen Rennen. In Assen zum Beispiel – auf Strecken, die ihm und der Yamaha liegen. Dort wird er in der Lage sein, vorne mitzufahren.“
Konkurrenz kann momentan nur anerkennend klatschen
Aber so spannend das Rennen in Mugello auch gewesen sein mag: Als es im Finish darum ging, wer nach 23 Runden als Sieger über die Ziellinie fährt, hatte man den Eindruck, dass Marquez im entscheidenden Moment wesentlich weniger Mühe hatte als Lorenzo, das Tempo noch einmal zu erhöhen. Die letzte Runde fuhr er souverän nach Hause – fast so, als hätte er noch Reserven gehabt. „Marc macht den Unterschied aus. Er fährt wirklich, wirklich gut“, staunt Crutchlow.
„Heute hatte er enormen Druck, Lorenzo hatte das Messer zwischen den Zähnen und wollte unbedingt gewinnen. Ich bin sehr beeindruckt, wie stark Jorge nach einem seiner schlechtesten Rennen überhaupt in Le Mans hier zurückgeschlagen hat. Das beweist, wie schnell er ist. Marcs Motorrad sah von außen viel schlechter zu fahren aus als die Yamaha von Lorenzo, aber er hat trotzdem gewonnen und seinen Teamkollegen meilenweit geschlagen“, sagt der Ducati-Fahrer.
Doch das Spekulieren darüber, ob das Wunder geschehen und ein Fahrer alle Rennen gewinnen kann, überlässt Marquez anderen. Für ihn selbst ist auch der WM-Titel noch völlig offen: „Es ist eine fantastische Saison, sechs Siege und sechs Pole-Positions in sechs Rennen. Alles sieht sehr gut aus, aber trotzdem sind erst sechs Rennen absolviert. Wir müssen unsere Mentalität beibehalten und in jedem Rennen kämpfen, um weitere Siege zu holen“, bleibt er zurückhaltend.
Text von Christian Nimmervoll
Quelle, Infos, Hintergrundberichte: www.motorsport-total.com/
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