BMW R nineT /5 – Rückbesinnung aufs Wesentliche
Normalerweise bin ich ja bekennender Leistungsfetischist. Wird ein neues Motorrad vorgestellt, interessieren mich zuerst die nackten Zahlenwerte. Leichter, schneller, stärker muss es sein.
Wie viel Hubraum, wie viel PS, was wiegt der Hobel. Der zweite Blick gilt dann Fahrwerk und Bremsen. Welche Dämpfer sind verbaut, sind sie einstellbar, was für eine Bremsanlage kommen zum Einsatz. Lust but not least folgt dann noch das Thema Elektronik. Ist die Traktionskontrolle mehrstufig, lässt sich das ABS abschalten, ist ein Blipper an Bord.
Und ich gehe davon aus, dass es vielen Motorradfahrern, vor allem im sportlichen Bereich, ähnlich geht. Wenn wir aber ganz ehrlich sind, spielen all diese Dinge eigentlich gar keine Rolle.
Leistung ist heutzutage bei den meisten Motorrädern so viel vorhanden, dass Normalsterbliche auf der Rennstrecke kaum damit klarkommen, geschweige denn die Pferde im öffentlichen Straßenverkehr abrufen können. Auch brems- und fahrwerksseitig bleiben in der Regel kaum noch Wünsche offen und moderne Reifen funktionieren so gut, dass die Elektronik nur noch bei lebensverachtendem Einsatz des Gasgriffs in den Regelbereich zu bringen ist. Man kann all diese Dinge daher getrost außer Acht lassen und sich bei der Wahl seines Motorrads aufs Wesentliche konzentrieren – persönliche Vorlieben und Emotionen.
Das Letztgenannte bei mir durch ein Motorrad aus dem Hause BMW ausgelöst werden könnten, dass nicht den Namen S1000RR trägt, hätte ich bis zu Sommer diesen Jahres nicht gedacht. Es ist zwar ein offenes Geheimnis, dass in puncto Fahrbarkeit und Vielseitigkeit kaum ein Weg an der GS-Modellreihe vorbeiführt. Davon konnte ich mich selbst schon überzeugen. Da Motorradfahren für mich aber durch eine Kombination aus Ästhetik und Fahrdynamik zu dem wird, was es für mich ausmacht, kamen Motorräder mit Boxermotoren und ihre Ableger nie auch nur ansatzweise infrage. Diese Einstellung änderte sich mit der Ankunft der BMW R nineT /5 aber schlagartig.
Jubiläumsausgabe
Mitte des Jahres präsentierte BMW das Motorrad als Sondermodell, um gleich zwei fünfzigjährige Jubiläen zu feiern. Da ist zum einen der Start der Produktion am Standort in Berlin Spandau 1969, zum anderen – und das ist der wichtigere Anlass – die Ankunft der legendären /5-Baureihe im selben Jahr. Als Basis für das Jubiläumsmodell entschied man sich für die BMW R nineT, die sich für die Bajuwaren in den vergangenen Jahren nicht nur zum Verkaufsschlager entwickelt hat, sondern aus der bereits die Varianten Scrambler, Racer, Pure und Urban G/S hervorgingen. Eine Modellreihe, der ich bisher nicht wirklich viel abgewinnen konnte.
Obwohl das Sondermodell /5 weder technisch noch optisch weit von der Standard R nineT entfernt ist, wirkt sie wie ein komplett eigenständiges Motorrad. Das liegt vor allem an der Vielzahl der optischen Details, die BMW dem Sondermodell in Anlehnung an die legendäre /5-Baureihe spendiert hat. Das beginnt bereits an der Front. Bei den Dämpferelementen setzt BMW auf eine konventionelle Gabel, wie sie auch schon an den anderen R nineT Ablegern zu finden ist. In Anlehnung an das Ur-Modell sind die Tauchrohre hier aber in Silber gehalten und verleihen der /5 einen völlig anderen Look. Gleiches gilt für den Tank, der mit den Kniepads aus Gummi ein weiteres historisches Element aufnimmt. Und auch die Sitzbank erinnert mit dem Haltegurt für den Sozius, der weißen Ziernaht und dem BMW-Emblem an den Klassiker. Optisch das absolute Highlight ist aber die Lackierung in Tiefseeblau metallic mit den weißen Doppelstreifen. Dieser erinnert stark an das Ur-Modell und wird in Teilen sogar in Handarbeit aufgetragen. Wie die /5 aus dem Jahr 1969 steht natürlich auch das Jubiläumsmodell auf Speichenrädern in Metalldesign. Abgerundet wird der klassische Auftritt durch den verchromten Kühler und den Edelstahlendtopf, der so auch schon an der R nineT Racer zu finden ist.
Technisch entspricht die 2019er Strich-5 mehr oder weniger Eins zu Eins der R nineT. Wie bei der Basisversion kommt auch hier der luft-öl-gekühlte Boxermotor zum Einsatz. Während das Topmodell der „Strich-Fünf“-Baureihe, die R75/5, 1969 aus 749 Kubikzentimeter sportliche 50 PS schöpfte, generiert der 1170 Kubikzentimeter große Vierventiler neuster Bauart 110 Pferdestärken bei knapp über 7700 Touren. Aus sportlicher Sicht nicht überbordend viel, in Kombination mit den 116 Newtonmeter Drehmoment aber ein solides Landstraßen-Paket. Getragen wir die /5 von einem dreiteiligen Stahlrohrrahmen, der so ebenfalls in den anderen R nineT-Modellen zum Einsatz kommt.
Motorrad pur
Ausstattungsseitig fällt die R nineT /5 für eine BMW etwas aus dem Rahmen. Während die meisten anderen Motoräder aus München den Piloten in jeder Fahr- und Alltagssituation mit einer Vielzahl von Assistenzsystemen unterstützen, fällt die Habenliste der Strich-Fünf sehr kurz aus. Neben dem obligaten ABS gibt es eine ASC genannte, nicht einstellbare Traktionskontrolle und eine dreistufige Griffheizung – das war´s.
Dass man dieses ganze Zipp und Zapp nicht braucht und beim Motorradfahren eigentlich andere Dinge zählen, hatten wir ja schon festgestellt. Die Bestätigung dafür erhält man bei der /5 bereits beim ersten Sitzkontakt. Das Cockpit mit dem analogen Rundinstrument wirkt aufgeräumt und auch hier herrscht Purismus. Die Informationszentrale informiert lediglich über Geschwindigkeit, Kilometerstand (2 Tageskilometerzähler) und Motortemperatur. Einen Drehzahlmesser gibt es nur als Zubehör. Und auch die Lenkerarmaturen fallen ob der nicht vorhandenen Elektronik überraschend klein aus. Sehr angenehm.
Noch angenehmer wird es beim Thema Ergonomie. Die Strich-5 empfängt ihren Piloten nämlich mit einer perfekten Sitzposition, die trotz der klassischen Anmutung des Motorrades überraschend fahraktiv ausfällt. Die Sitzhöhe ist mit 825 Millimeter recht hoch und auch die geschmiedeten Rasten platzieren die Füße sportlicher als gedacht. Ebenfalls sehr positiv fällt sofort der Knieschluss am schmalen, 17 Liter fassenden Tank auf.
Und der positive Gesamteindruck setzt sich im Fahrbetrieb fort, auch wenn der Fahrer bereits beim ersten Ampelstopp von einer Eigenheit des Boxermotors überrascht wurde. Zum Charakter des Aggregats zählen nämlich auch Vibrationen in Querrichtung, die im Stand so ausgeprägt sind, dass das das Sichtfeld – ebenfalls in Querrichtung – mitschwingt. Dabei sind die Vibrationen nicht störend, aber eben in beschriebener Art wahrnehmbar. Auch während der Fahrt weist der Motor konstruktionsbedingt immer wieder Vibrationen auf, die aber alles andere als unangenehm sind. Im Gegenteil. Während andere Motorkonzepte teils mit feinen Schwingungen und Vibrationen nerven, da sie diese über Rasten oder Lenker weitergeben und in bestimmten Drehzahl- und Frequenzbereichen für eingeschlafene Hände oder Füße sorgen, lässt der Boxer den Fahrer eher spüren, das er lebt. Eine sehr unterhaltsame Eigenart.
Entspannungspaket
Auch sonst ist der Motor auf der Landstraße ein lebhafter und vor allem sehr unterhaltsamer Zeitgenosse. Der Zweizylinder hängt gut am Gas und da ab knapp 3.500 Touren konsequent über 100 Newtonmeter Drehmoment anstehen, surft man bereits im Stadtverkehr und bei niedrigen Touren auf eine Glückshormon- und Drehmomentwelle. Etwas geschmälert wird hier das Hochgefühl aber durch die ausladende Bauart des Motorrads. Mit einer Breite von 90 Zentimeter auf Autospiegelhöhe ist die BMW beim Kolonnenspringen im Berufsverkehr doch spürbar gehandicapt. Dank des grundsätzlich hohen Entspannungsniveaus auf der Strich-Fünf, steckt man diesen aber auch wartend in der Schlange deutlich besser weg.
Richtig entspannend wird es aber, hat man das Ortschild erst mal hinter sich gelassen und steuert kurviges Revier an. Hier kann dann auch der breite Lenker seine Vorzüge voll ausspielen. In Kombination mit der komfortablen, aber doch sportlichen Sitzposition dirigiert man die Strich-Fünf mit Leichtigkeit von Kurve zu Kurve. Ein leichter Zug an der Lenkstange genügt und die Strich-Fünf verlässt – trotz ihrer 219 Kilogramm vollgetankt – fast wie von allein die Mittellage. Dabei verhält sich das Motorrad nicht nur absolut neutral, sondern auch erfreulich schräglagengierig. Und auch am Kurvenausgang zaubert die R nineT-Variante ihrem Piloten immer ein Lächeln ins Gesicht. Hier heißt die Devise jedes Mal aufs Neue: Hahn spannen, die piekfeine Gasannahme genießen und mit Nachdruck auf der Drehmomentwelle aus den Ecken surfen. Kleines Manko: Der Boxer leidet zwischen 5.000 und 6.000 Touren an einem Einbruch der Drehmomentkurve. Beim engagierten Kurvenräubern unter Volllast fällt dieses Loch nicht weiter auf, bei nur teilgeöffnetem Gas ist dieser Knick im Drehmomentverlauf aber spürbar.
Untermalt wird das Erlebnis Boxermotor vom der überraschend lauten Auspuffanlage. Um mit der R nineT /5 auch in Sachen Sound an das Ur-Modell erinnern zu können, griffen die BMW-Ingenieure in die Trickkiste und pflanzten der Neuauflage vor dem Endtopf eine Akustikklappe in die Abgasanlage. Das Klangerlebnis wusste im Test zwar zu begeistern, fiel innerorts aber teils durch zu deutliche Lebensäußerungen auf, was unter Umständen die Kritik der Nachbarn auf sich ziehen könnte.
Nichts zu bemängeln gibt es auch in Sachen Fahrwerk und Bremsen. Die Kombo aus Brembo-Vier-Kolben-Sätteln und den 320 Millimeter messenden Scheiben verzögern Mann und Maschine problemlos, das ABS ist nicht zu konservativ ausgelegt und greift erst überraschend spät maßregelnd ein. Auch das Fahrwerk erlaubte sich keine echten Schwächen. Sowohl die nicht einstellbare Gabel als auch das in Federbasis und Zugstufe justierbare Zentralfederbein machen einen guten Job. Einzig schnelle und kurze Stöße gibt Letztgenanntes etwas ungefiltert an den Fahrer weiter. Hier dämpft dann glücklicherweise aber das weiche Sitzpolster etwas nach.
Warum die /5?
Leistungswahn, Leichtbau, Aerodynamikpakete – der moderne
Motorradbau versucht in allen Bereichen durch Superlative die Kundschaft zu
begeistern. Fahrbar werden diese Boliden für den Normalo aber überhaupt nur
durch jede Menge Elektronik und Assistenzsysteme und der Fahrspaß kommt hier
oft erst jenseits der Vorgaben und Regeln des öffentlichen Straßenverkehrs. Die
BMW R nineT /5 zeigt, dass es auch anders geht. Keine Winglets, dafür zeitlos
schönes Motorraddesign, gerade einmal 110 PS, dafür aber Freude am Fahren ab
der Hofausfahrt. Dass eine Kombination aus Boxermotor, komfortabler
Sitzposition und konventionellem Fahrerwerk auch sehr sportlich bewegt werden
kann, beweist das auf 750 Einheiten limitierte Sondermodell auch noch und erbringt
damit wieder einmal den Beleg: mehr Motorrad braucht auf der Straße kein
Mensch.
Ein toller Bericht,der auf das Motorrad Lust macht ❤️. Ich erhalte meine am 1.4.2020 und kann es kaum noch erwarten?. Freue mich auf eine gute Saison?, unfallfrei,mit gutem Wetter?
Früher fuhr ich auch nur Supersportler, Leistung war alles. Seit Februar 20 fahre ich eine /5. Wie im Bericht geschrieben, ein super Motorrad. Ohne zip und zap, einfach fahren, purer Genuss! Diese Motorrad macht aufgrund seines Charakters genauso viel Spass wie ein Supersportler mit High-Tech Motor. Es muss ja nicht zwingend die /5 sein, eine Pure, GS oder Scrambler kann das genau so gut da identische Technik. Jeder Superbike Fahrer der mit Boxer nix anfangen kann soll einmal so ein Bike Testfahren und selbst beurteilen. Absolut zu empfehlen! Was mich irritiert im Bericht ist die Aussage es wurden 750 Exemplare der /5 gebaut. Wie kommt das, BMW hält sich offiziell bedeckt. In einem anderen Bericht las ich von 1500 gebauten Exemplaren. Als Besitzer einer neuen /5 würde mich die tatsächlich gebaute Stückzahl schon interessieren. In dem Sinne, viel Spass und schöne Ausfahrten im 2020!
Habe das Bike letztes Jahr bei BMW Gottstein in Säckinen zum ersten mal gesehen und war sofort verknallt in das Klassische Design.Habe nicht lange überlegt und meine RS in Zahlung gegeben. Die Heimfahrt war wie auf Wolke 7, das Handling im vergleich zur RS zwei Welten. Nichts desto Trotz muss ich Bemängeln das diejenigen die das Motorrad entworfen haben einen ganz wichtigen Aspekt vergessen haben, nämlich das Scheinwerfergehäuse der R 75/5 mit der Tacho – Drehzahlmessereinheit.
Das wäre das I tüpfelchen gewesen. Für soviel Geld hätte das auf jeden Fall dazu -gehört, Schade!