Ich erinnere mich noch genau an meine erste Begegnung mit der Ducati Supersport 939.
Damals hatte Michelin nach Spanien zur Vorstellung des Tourensport-Reifen Road 5 geladen und ein Teil des Programms fand auf der mir unbekannten andalusischen Teststrecke Circuito Monteblanco statt. Um mich bei unbekanntem Kurs und neuen Reifen nicht auch noch leistungsseitig zu überfordern, wählte ich für den ersten Turn eben jene brandneue Ducati Supersport 939, die auf den ersten Blick die für den Rennstreckeneinsatz gewünschte Sportlichkeit versprach, mit Ihren 110 PS den Stress für Tester und Hinterreifen aber im humanen Bereich halten sollte.
Echte Amigos wurden wir auf dem spanischen Rundkurs aber nicht. Der sportliche Ersteindruck wurde durch den doch recht hohen Lenker und die etwas inaktive Sitzposition schnell relativiert, die Motorcharakteristik und die etwas unsanfte Gasannahme wirkten sich auch nicht besonders beziehungsfördernd aus. Und auch die Gestaltung der Optik war mir für eine Ducati etwas zu nichtssagend, als das mich wenigstens das Design emotional berührt hätte.
Als Ducati Ende 2020 aber die ersten Bilder der neuen SuperSport 950 veröffentlichte, wurde mir plötzlich warm ums Herz. Das deutlich überarbeitete Design und vor allem die edle SuperSport 950 S im schicken metallic-weiß hatten es mit sofort angetan. Ob das Update auch im Fahrbetrieb mein Blut in Wallung bringen würde? Ein ausführlicher Landstraßentest sollte es klären.
Der Glanz der großen Schwester
Mich hatte die Optik der ersten SuperSport der Neuzeit zwar nicht vom Hocker gerissen, kurz nach der Präsentation der 939 auf der INTERMOT wurde das Modell dann auf der EICMA 2016 aber sogar zum schönsten Motorrad der Messe gekürt. In den vergangenen fünf Jahren hat sich aber vor allem im Hause Ducati viel getan und mit der Panigale V4 erblickte in der Zwischenzeit eine neue Stil-Ikone das Licht der Welt.
Kein Wunder also, dass die Italiener sich auch bei der Gestaltung der Verkleidung der neuen SuperSport vom Design des neuen Flaggschiffs inspirieren ließen. Und der Optiktransfer ist mehr als gelungen. Die Front lässt mit dem neuen LED-Scheinwerfer und dem Tagfahrlicht DRL nicht nur die Verwandtschaft zur großen Schwester erkennen, sondern wirkt dadurch jetzt auch deutlich dynamischer. Die ebenfalls neuen Lufteinlässe im Übergang zur Seitenverkleidung sollen an der Front nicht nur optisch sportliche Akzente setzen, sondern dienen laut Ducati über zwei seitliche Öffnungen auch der Frischluftzufuhr in Richtung der Beine des Fahrers, was den thermischen Komfort verbessern soll. Ebenfalls aus Temperaturgründen – diesmal aber für das Zweizylinderaggregat – verfügen die Seitenteile jetzt über große Lüftungsöffnungen, die ebenfalls ans V4-Superbike angelehnt sind und der neuen 950 einen deutlich dynamischeren Charakter verleihen.
Auf Komfort getrimmt
Nimmt man auf der Neuen Platz, gibt sich die SuperSport 950 aber deutlich weniger sportlich als erwartet. Das dank roter Nähte sehr schicke Sitzpolster befindet sich nämlich wie bei der Vorgängerin in einer moderaten Höhe von lediglich 810 Millimeter und auch die geschmiedeten Lenkerstummel platzieren die Hände immer noch sehr entspannt. Einzig die Positionierung der Fußrasten verdient tatsächlich die Beschreibung sportlich, ohne dabei mit einem zu engen Kniewinkel zu stören. Dieser Eindruck setzt sich dann auch auf den ersten Metern im Sattel fort. Die Erklärung hierfür ist schnell gefunden.
Die Hülle der SuperSport wurde zwar in Richtung sportlich überarbeitet und die neue Endung 950 suggeriert einen Zuwachs an Performance, unter dem schicken Plastikkleid hat sich technisch aber nur wenig getan. Auch die SuperSport 950 wird vom 937 Kubikzentimeter großen Testastretta-11° Motor befeuert, der schon in der Supersport 939 zum Einsatz kam und auch in der aktuell noch angebotenen Multistrada 950 zu finden ist. In der neuen SuperSport ist der V2 nun zwar Euro 5-konform, leistungsseitig blieb das Aggregat aber unverändert und generiert laut Werksangaben bei genau 9.000 Umdrehungen maximal 110 PS.
Auch beim Chassis ist fast alles beim Alten. Wie bei der Vorgängerin setzt Ducati beim 2021er Modell weiterhin auf einen Gitterohrrahmen, der den Motor als tragendes Element integriert und über die Zylinderköpfe mit dem Aggregat verschraubt ist. Einzig der vordere Hilfsrahmen wurde für die 950 neu konstruiert.
Blieb die Technik antriebsseitig und beim Rahmen nahezu unangetastet, hat sich an der Elektronikfront dann doch so einiges getan. In der neuen 950 kommen mit den Evo-Varianten der Ducati Traktionskontrolle (DTC), der Wheelie Kontrolle (DWC) und des Ducati Quickshifters nicht nur die neuesten Versionen der Ducati Assistenzsysteme zum Einsatz, die SuperSport besitzt seit diesem Jahr auch ein Kurven-ABS, welches wie alle elektronischen Helferlein durch eine 6-Achsen-IMU aus dem Hause Bosch mit Daten versorgt wird. Ebenfalls Teil des Elektronik-Pakets: die Riding Modes SPORT, TOURING und URBAN.
Hier sind wir auch bereits wieder beim Thema Komfort. Wie die Ergonomie sind auch die Grundeinstellungen der Riding Modes eher auf der entspannten Seite ausgelegt, was sich schon kurz nach dem Anrollen bemerkbar macht, wenn man im Modus “TOURING” seine Fahrt beginnt. Das Ansprechverhalten wirkt in dieser Einstellung beim Anfahren und nach dem Gangwechsel leicht verzögert und auch die Gasanahme zeigt sich nicht linear. Das fällt besonders auf, wenn man direkt von einem sportlichen Motorrad mit sehr direkter Gasannahme auf die SuperSport wechselt. Ducati bezeichnet diese Einstellung als “progressives Ansprechverhalten des Ride-by-Wire-Systems“. Für zurückhaltende Fahrertypen sicher eine Option, den sportlich-ambitionierte Zweirad-Fan motiviert diese Einstellung aber, schon nach wenigen hundert Metern den ersten Stopp einzulegen und sich proaktiv mit der Menüführung und den Konfigurationsmöglichkeiten der Ducati zu beschäftigen.
Der Einstieg in die Elektronik der Ducati gelingt glücklicherweise schneller als gedacht. Das liegt zum einen am schicken und sehr gut ablesbaren 4,3 Zoll TFT-Farbdisplay. Erfahrene Ducatisti erkennen auch hier sofort die Verwandtschaft zur großen Schwester. Die Schaltzentrale sieht aber nicht nur gut aus – sie lässt sich auch recht intuitiv bedienen. Nach wenigen Versuchen findet man sich im Menü gut zurecht, wählt den Modus SPORT und kann im Untermenü auch noch die Assistenzsysteme nach den persönlichen Vorlieben feinjustieren. In meinem Fall bedeutet das: ABS in den Trackmodus (nur am Vorderrad aktiv), Traktionskontrolle auf Stufe 4 (man weiß ja nie) und Wheeliekontrolle aus. Letztgenannte ist bei einer Leistung von 110 PS und dem fahrfertigen Gewicht von 210 Kilogramm sowieso mehr Spielerei als wirklich notwendig.
Wer jetzt vor lauter Vorfreude auf die kommende Tour noch vor Fahrtantritt das E-Gas aufreißt, erlebt eine gehörige Überraschung. Denn Drehzahlorgeln erlaubt die Duc im geparkten Zustand nicht und unterbindet akustische Emotionsausbrüche bei 3.000 Touren durch einen elektronischen Begrenzer. Erst mit dem Einlegen der ersten Gangstufe gibt der Bordcomputer das Drehzahlband frei und erlaubt befreites Spielen mit dem Gas.
Viel unterhaltsamer als die Trockenübungen am Straßenrand sind auf der SuperSport 950 S aber sowieso die gefahrenen Kilometer. Denn hat man seine Lieblingseinstellung erst einmal gefunden, zeigt sich die Duc als quirliger Wirbelwind und lässt das extrem gelungene Gesamtpaket schon auf den ersten Kilometern mehr als nur im Ansatz erkennen. Ein Hauptgrund ist die tolle Landstraßenergonomie, die die eigentlich gegensätzlichen Attribute „entspannt“ und „sportlich“ erstaunlich gut zu kombinieren vermag. Man fühlt sich sofort pudelwohl auf der Duc, die kleine und höhenverstellbare Scheibe bietet formidablen Windschutz und trotz der recht hohen und breiten Lenkerenden spürt man noch eine intensive Verbindung zur Front, die viel Vertrauen schafft und zur zügigen Gangart motiviert. Dabei platziert die SuperSport ihre Piloten hinter dem recht hohen Tank und mit der niedrigen Sitzbank etwas passiv im Motorrad. Dennoch wirkt die SuperSport auch auf engen Nebensträßchen noch ziemlich agil, was sicher unter anderem auch am breiten Lenker liegt.
Als agil – oder besser – drehfreudig ist auch der Motor zu bezeichnen, der bei der zügigen Runde fröhlich Richtung Begrenzer jubelt. Etwas Drehzahl braucht er aber auch. Ducati gibt zwar an, dass bereits ab 3.500 Umdrehungen 80 Prozent des maximalen Drehmoments von 93 Newtonmeter (bei 6.500 U/min) zur Verfügung stehen. Für den sportlichen Ritt von Kurve zu Kurve sollte sich der digitale Drehzahlmesser aber immer im Bereich oberhalb von 5.500 Touren bewegen. Darunter zeigt sich das Aggregat der Duc mit seinen angenehmen Vibrationen zwar kultiviert, dürfte aber gern etwas forscher zur Sache gehen. Alles in allem ist der Motor aber ein sehr unterhaltsamer Zeitgenosse und dank des serienmäßigen Schaltautomaten, der den kupplungsfreien Gangwechsel in beide Richtungen beherrscht, bedient man mit Freude einmal mehr auf den leichtgängigen Schalthebel, sollte die Drehzahl doch einmal zu stark abfallen.
Bei der 950 S ist das auch in beachtlicher Schräglage kein Problem. Zeigt sich die SuperSport trotz ihrer 210 Kilogramm überraschend handlich, ist ihre Stabilität ihre eigentliche Stärke. Das vermittelt beim Kurvenfahren noch mal eine extra Portion Vertrauen. Dabei macht es auf der „S“ keinen großen Unterschied, ob man gerade auf Asphalt der Güteklasse Baby-Popo rollt, oder auf einer frostgeschädigten Kreisstraße unterwegs ist. Die Federelement aus dem Hause Öhlins führen Ross und Reiter souverän auch über schlechtes Geläuf und machen unter allen Bedingungen einen großartigen Job.
Das gilt auch für die Bremsanlage. Während das Öhlins-Fahrwerk der S-Variante vorbehalten ist – die Standard-950 wird mit Marzocchi Gabel und Sachs-Federbein ausgeliefert – spendiert Ducati beiden Versionen eine Brembo-Bremsanlage mit M4-32 Sätteln, die mächtige 320er Scheiben in die Zange nehmen und sich bei geringer Handkraft hervorragend dosieren lassen.
Ducati – Gran Turismo
Was für ein feines Gerät. Selten habe ich ein Motorrad bewegt, von dem ich nach einer Landstraßentour so ungern abgestiegen bin und dessen kleine Unzulänglichkeiten ich so schnell unter der Rubrik „Charakter“ abgelegt habe.
Sei es der etwas raue Motorlauf bei niedrigen Drehzahlen oder die Tatsache, dass der Tank zwar sehr formschön gestaltet ist, man sich hier beim Rangieren bei vollem Lenkanschlag aber auch gern mal die Hände einklemmt, beides wird wohlwollend hingenommen. Und das, obwohl die neue SuperSport nicht mit Superlativen klotzt. Nicht die Leichteste und schon gar nicht die Stärkste will sie sein und macht damit so viel richtig. Das Design weiß zu begeistern, Ergonomie und Ausstattung können voll überzeugen und das Fahrverhalten kann man sich fast nicht besser wünschen. Einzig der Name will nicht so richtig passen. Wirkt die Ducati SuperSport mit ihrem Äußeren und ihren Eckdaten auf den ersten Blick tatsächlich wie ein Motorrad aus der glorreichen Supersportler-Vergangenheit, ist sie in Wirklichkeit ein gediegenes Motorrad der Gegenwart. Eine Beschreibung als Sporttourer käme mir aber fast wie eine Beleidigung vor. Hätte die Ducati zwei Räder mehr, wäre sie auf jeden Fall ein sportliches Coupé geworden und die Italiener hätten sie aufgrund ihrer Eigenschaften mit den Lettern GT geadelt. Gran Tourismo. Ein klangvoller Zusatz, der auch der 950 mehr als gerecht würde. Einer Sportlerin mit Komfort. Lasst Euch also vom Namen nicht abschrecken und fahrt sie unbedingt Probe – die Duc ist viel mehr als SuperSport und macht vieles SuperGut.
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