(Motorsport-Total.com) – Fabio Quartararos erste Reaktion nach dem Grand Prix der Emilia-Romagna 2021 in Misano, nachdem er den MotoGP-Titel in der Tasche hatte, lautete unter Tränen der Freude: „Ich kann gar nicht … Das ist unglaublich! Das ist einfach ein Traum! Es fühlt sich so gut an, vor allem, weil auch meine Familie hier ist. Heute Abend werden wir feiern und den Rest der Saison einfach genießen!“
Im Interview mit MotoGP-Promoter Dorna und in der eigens angesetzten Weltmeister-Pressekonferenz geht Quartararo einige Stunden später ausführlich auf den bisher größten Tag in seinem Leben ein. Mit Blick auf den in Führung liegend passierten Sturz von WM-Rivale Francesco „Pecco“ Bagnaia sagt der neue Weltmeister: „So, wie das Wochenende für ‚Pecco‘ zu Ende gegangen ist, das ist natürlich nicht die Art und Weise wie ich mir das gewünscht hatte. Ich bin froh, dass er in Ordnung ist.“
Als Quartararo nach dem Rennen, dass er auf P4 beendete, in die Boxengasse zurückkam, war Bagnaia einer der ersten Gratulanten. In diesem Moment war beim neuen Weltmeister von Nervosität keine Spur mehr. Das freilich war in den Stunden vor dem Rennen noch ganz anders gewesen.
„Heute morgen, vor dem Aufstehen, hatte ich einen seltsamen Traum“, erinnert sich Quartararo. „Ich träumte, dass es regnen würde. Das war um fünf Uhr morgens. Ich stand auf, um nachzuschauen, ob es regnet. Dann aber wurde mir klar, dass ich das nur geträumt hatte. So konnte ich mich wieder in Ruhe schlafen legen.“
Ein Regenrennen wäre das letzte gewesen, was Quartararo mit seiner Yamaha gebraucht hätte. Aber auch mit der Aussicht auf ein trockenes Rennen war die Nervosität des 22-jährigen Franzosen größer als sonst. „Zum ersten Mal hatte ich vor einem Rennen wirklich Probleme, etwas zu essen. Ich habe meine Gnocchi einfach nur gekaut und hatte noch 30 weitere auf dem Teller“, gibt er zu.
Denn bis zum Start des Rennens hatte Quartararo gar nicht damit gerechnet, den Titelsack schon in Misano zuzumachen: „Die einzige Möglichkeit, dass ich schon heute Weltmeister werde, wäre ein Sturz von ‚Pecco‘ gewesen. Und so ist es gekommen. Ich habe noch gar nicht realisiert, was passiert ist. Das Wort Weltmeister hat noch gar nicht den Weg in mein Gehirn gefunden. Ich werde das alles wohl erst in ein paar Stunden oder ein paar Tagen realisieren.“
Grund für Quartararos Nervosität vor dem Start war nicht zuletzt die für ihn ungewohnt schlechte Ausgangsposition. Schließlich war der 15. Startplatz, der nach Q1-Aus am Samstag und Streichung seiner besten Q1-Runde zustande kam, der schlechteste Startplatz seiner gesamten bisherigen MotoGP-Karriere, die seit Anfang 2019 läuft.
Trotz der schlechten Ausgangsposition hat Quartararo am Sonntag im Rennen zehn Positionen gutgemacht, die meisten davon durch aktive Überholmanöver auf der Strecke. Dennoch sah es lange Zeit nach Vertagung der WM-Party bis mindestens Portimao in zwei Wochen aus.
Als aber Francesco Bagnaia in der 23. von 27 Runden in Führung stürzte, war klar, dass der MotoGP-Weltmeister 2021 Fabio Quartararo heißt. In den letzten Runden kämpfte der Yamaha-Pilot noch um das Podest, unterlag im Kampf um P3 aber knapp gegen Enea Bastianini (Esponsorama-Ducati).
Der riesigen Freude über den WM-Titel tut P4 im Rennen für Quartararo freilich keinen Abbruch, ganz im Gegenteil: „Ich wäre natürlich gerne auf das Podium gefahren, aber mein Vorderreifen war komplett am Ende. Ehrlich gesagt war es so aber vielleicht sogar besser, denn so konnte ich direkt meine Familie und meine gesamte Crew sehen. Ich habe gar keine Worte dafür.“
In seiner ersten Pressekonferenz als Weltmeister sagt Quartararo ein paar Stunden nach dem Rennen: „Ich habe schon jetzt keine Stimme mehr, weil ich so sehr geschrieben und so sehr geheult habe. Ich musste an den Weg hierher denken und daran, wie ich vor ein paar Jahren, als es für mich nicht so gut lief, niemals daran geglaubt hätte, MotoGP-Weltmeister zu werden. Deshalb ist das momentan alles wie ein Traum für mich. Ich habe noch gar nicht realisiert, was gerade passiert.“
Den einen oder anderen klaren Gedanken findet Quartararo inmitten seines „Traums“, der im Gegensatz zu den frühen Morgenstunden die Realität ist, dann aber doch: „Kurz vor dem Rennen saß ich mit Tom (persönlicher Betreuer Thomas Maubant; Anm. d. Red.) zusammen. Ich war nervös. Da sagte er mir, ich solle an die letzten drei Rennen des vergangenen Jahres denken und daran, wie diese ein komplettes Desaster waren.“
„Damals wollte ich das Jahr einfach nur noch zu Ende fahren und habe auf die Position der WM gar nicht mehr geachtet. Heute nun stand ich vor dem Rennen, in dem ich Weltmeister werden konnte. Rückblickend glaube ich, dass mir die schwierige Erfahrung des vergangenen Jahres heute geholfen hat“, so Quartararo.
Den WM-Titel hat Quartararo zwei Rennen vor Schluss der Saison eingefahren. Von den 16 bisherigen Saisonrennen hat er fünf gewonnen und stand zehnmal auf dem Podest. Beendet hat er jedes einzelne Rennen in den Punkterängen – sogar den Grand Prix von Spanien in Jerez, wo er in Führung liegend mit Armpump-Problemen zu kämpfen hatte.
Die Konstanz, die er 2021 an den Tag gelegt hat, gibt für Quartararo rückblickend den Ausschlag zum WM-Titel. Ein Rennen sticht für ihn aber besonders heraus, da er es rückblickend als Wendepunkt in der WM sieht. „Ich glaube, die Konstanz war der Schlüssel. Immer gepunktet zu haben, sogar in Jerez mit drei Punkten dort, war entscheidend“, sagt er.
„Der Wendepunkt“, so Quartararo weiter, „war für mich der Sieg in Mugello. Bagnaia war dort superstark, ist aber früh gestürzt. Ich kämpfte dann gegen Johann [Zarco]. Und dieser Sieg hat mir das nötige Selbstvertrauen gegeben.“
In der seit 1949 geschriebenen Geschichte der Motorrad-WM ist Fabio Quartararo der erste Weltmeister aus Frankreich in jener Disziplin, die allgemein als Königsklasse bekannt ist. Darunter versteht man beim Motorrad-Weltverband FIM und beim MotoGP-Promoter Dorna die 500er- und die MotoGP-Klasse.
Zwar gab es in den 1970er-Jahren auch für einige Jahre eine 750er-Klasse und in dieser errang der Franzose Patrick Pons anno 1979 den Titel. Weil damals aber unter dem Reglement der Formula 750 gefahren wurde, zählt es nicht als Königsklasse im eigentlichen Sinne. Somit ist Quartararo der erste Franzose, der in der Königsklasse Weltmeister geworden ist. Für Yamaha ist er der erste Fahrerweltmeister seit Jorge Lorenzo in der MotoGP-Saison 2015.
Seinen WM-Titel 2021 hat Quartararo in seiner dritten MotoGP-Saison errungen, nachdem er es zuvor in vier Jahren in den Klassen Moto3 und Moto2 (2015 bis 2018) auf lediglich einen Rennsieg gebracht hatte. Seit er in der Königsklasse fährt, präsentiert er sich stärker denn je. Der WM-Titel 2021 ist für ihn der bisherige Höhepunkt seiner Karriere.
Text von Mario Fritzsche
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