(Motorsport-Total.com) – Am 18. April 2004 schrieb Valentino Rossi Geschichte. Beim Saisonauftakt der MotoGP fuhr Rossi im ersten Rennen als Yamaha-Pilot zum Sieg und fügte Ex-Arbeitgeber Honda damit eine bittere Niederlage zu.
Nach drei WM-Titeln mit HRC entschied sich Rossi im Laufe der MotoGP-Saison 2003 zum Wechsel zu Yamaha und ging damit ein großes Risiko ein.
Doch Rossis Mut sollte sich auszahlen. Der Italiener galt damals als der mit Abstand bester Fahrer. Nach Titeln bei den 125ern und 250ern stieg Rossi in der Saison 2000 in die Königsklasse auf und wurde sofort Vize-Weltmeister.
Im Jahr darauf holte sich Rossi mit der legendären Honda NSR500 den finalen Titel bei den 500ern, bevor er mit der spektakulären V5-Honda die neue Viertaktära einleitete und 2002 und 2003 souverän die Meisterschaft gewann.
Arrogant: Honda unterschätzt den Wert des Fahrers
Damals deutete alles darauf hin, dass Rossi die MotoGP zusammen mit Honda jahrelang dominieren wird. Honda machte sich keine Sorgen, dass Rossi wechseln könnte. Mit der RC211V hatten die Japaner das dominante Bike der 990er-Ära.
Motorrad-Legende Mick Doohan erinnert sich im Gespräch mit ‚MotoGP.com‘ an die Situation: „Honda war ziemlich selbstsicher. Sie gewannen in den 1990ern sehr viel und dann machte Valentino direkt weiter. Honda war ein bisschen arrogant, sie hatten zu viel Selbstvertrauen. Sie respektierten nicht, was Valentino für sie leistet.“
„Die Honda war das beste Motorrad“, bestätigt Rossi. „Honda dachte damals, dass sie mit Vale gewinnen, doch wenn Vale geht, dann gewinnen wir mit Gibernau, Biaggi oder anderen Fahrern.“
„Sie behandelten mich nicht wie einen Nummer-eins-Fahrer. Sie meinten, dass ich ein Werkspilot bin, mich aber bei ihnen bedanken muss, wenn ich gewinne“, schildert Rossi und fügt hinzu: „Ich machte mir Gedanken über einen Wechsel.“
Keine reizvollen Alternativen zur Honda RC211V
Doch die Alternativen zur Honda RC211V waren wenig verlockend. In der MotoGP-Saison 2003 behaupteten sich drei Honda-Piloten in den Top 3. Ducati-Pilot Loris Capirossi war als WM-Vierter bester Nicht-Honda-Pilot. Ducati hatte mit der Desmosedici ein starkes, aber unausgewogenes Motorrad gebaut.
Bei Yamaha sah es noch schlimmer aus. Mit der M1 erlebten die Japaner 2003 ein schockierend schlechtes Jahr. Bei 16 Rennen konnte nur ein Podestplatz sichergestellt werden. In der Fahrerwertung landete Werkspilot Carlos Checa auf Platz sieben und hatte im Vergleich zu Weltmeister Rossi nur etwa ein Drittel der Punkte auf seinem Konto.
Yamaha befand sich in einem Tief. „Uns war klar, dass wir Valentino brauchen, wenn wir gewinnen möchten“, erinnert sich Rennleiter Lin Jarvis. „Davide Brivio war damals unser Teammanager. Wir nutzten die italienische Verbindung, um die Verhandlungen zu starten.“
Geheime Treffen zwischen Yamaha und Valentino Rossi
Rossi ließ sich auf Gespräche mit Brivio ein. „Das erste Treffen fand im Februar 2003 auf Ibiza statt“, blickt der damalige Yamaha-Teammanager zurück. „Es war nur ein lockeres Gespräch. Wir teilten ihm mit, dass wir einen Fahrer wie ihn benötigen, wenn wir gewinnen möchten und fragten, ob er denn nicht zu uns kommen will. Es war der Beginn.“
Yamaha signalisierte Rossi, dass er unverzichtbar für sie ist, wenn sie in der MotoGP Erfolge feiern möchten. Damit weckten sie das Interesse des damals 24-Jährigen. „Als es ernster wurde, trafen wir uns an jedem der Wochenenden im Fahrerlager. Das Problem war, zu verhindern, dass es jemand mitbekommt. Wir dachten uns viele merkwürdige Treffpunkte aus“, erinnert sich Brivio. „Wir trafen uns im Clinica Mobile und in Hotelzimmern.“
Doch auch wenn sich Rossi von Yamahas Interesse geschmeichelt fühlte, so wusste er gleichzeitig, wie es um die Konkurrenzfähigkeit der Yamaha M1 bestellt ist. „Wenn man sich in diesem Moment dafür entschieden hat, von Honda zu Yamaha zu wechseln, dann war man entweder verdammt verrückt oder einfach nur dumm. Vielleicht traf beides auf mich zu (lacht; Anm. d. Red.)“, scherzt Rossi.
Brivio wusste, wie er Rossi zu einem Wechsel bewegen kann. Rossi erhielt von Yamaha ein Video, in dem alle Yamaha-Weltmeister gezeigt wurden. Daraufhin teilte der damalige Yamaha-Teammanager seinem Wunschfahrer mit: „Agostini, Roberts, Lawson, Rainey. Du kannst der fünfte Fahrer in dieser Gruppe sein.“
Valentino Rossi lässt Honda-Vertragsangebot unbeantwortet
Die Entscheidung zum Wechsel zu Yamaha fiel Anfang Oktober. „Ich erinnere mich, dass wir 2003 in Motegi von Honda vom Flughafen abgeholt wurden“, kommentiert Wegbegleiter Alessio „Uccio“ Salucci. „Sie überreichten uns den neuen Vertrag und hängten ihn an den Kühlschrank im Büro. Sie teilten uns mit, dass er bis Sonntag unterzeichnet sein muss. Andernfalls sind wir raus.“
„Uccio“ erkannte, dass Rossi den Vertrag links liegen lässt. „In Motegi spürte ich zum ersten Mal, dass sich Vale entschieden hat“, berichtet der langjährige Freund der Motorrad-Legende. Rossi unterschrieb den Vertrag nicht und wechselte zu Yamaha. Vorher überzeugte er seine komplette Crew rund um Jeremy Burgess.
HRC reagierte prompt auf Rossis Wechsel und untersagte dem bis zum Jahreswechsel unter Vertrag stehenden Italiener die Testfahrten für seinen neuen Arbeitgeber. Während seine Rivalen in Sepang Erfahrungen sammelten, musste Rossi Zuhause abwarten.
„Das war ein Problem, aber auch eine große Motivation, denn ich verstand, dass sie besorgt sind“, kommentiert Rossi, der erst im Januar 2004 auf die Yamaha M1 steigen konnte. Es war ein großer Umstieg von der V5-Honda zum Reihen-Vierzylinder der Yamaha, der damals noch als Screamer konfiguriert war.
Positiver erster Test mit der Yamaha M1
„Es war magisch, als ich das Motorrad zum ersten Mal testen konnte“, erinnert sich Rossi. Yamaha war extrem gespannt auf das erste Feedback des MotoGP-Superstars. Teammanager Brivio berichtet: „Als er zum ersten Mal zurückkehrte, war er von 15 bis 20 Ingenieuren umzingelt, die seine Kommentare hören wollten. Alle waren besorgt, weil er ein dreimaliger Weltmeister war, der von Honda zu Yamaha kam.“
Doch Rossis erster Eindruck von seinem neuen Arbeitsgerät war positiv. „Uccio“ erinnert sich, dass Rossi bereits nach dem ersten Stint optimistisch wirkte: „Er meinte damals: ‚Es ist möglich!'“
Rossi rechnete sich aus, dass er bereits in seiner Yamaha-Debütsaison ein WM-Anwärter sein kann. „Nach dem ersten oder zweiten Test verstand ich, dass ich die Meisterschaft gewinnen kann. Doch ich erwartete nicht, das erste Rennen gewinnen zu können. Niemand rechnete damit und das war gut“, bemerkt er.
Yamaha stand durch die Verpflichtung von Rossi stark unter Druck. „Man befindet sich in Schwierigkeiten, wenn man Rossi im Team hat und nicht gewinnt“, erklärt Rennleiter Lin Jarvis. Teammanager Davide Brivio grübelte, welche Zielsetzung realistisch ist.
„Was sollten wir den Medien sagen? Wir einigten uns darauf, zu sagen, dass 2004 ein Lernjahr wird, in dem wir das Motorrad entwickeln und uns gegenseitig kennenlernen müssen. Dann wollen wir 2005 gewinnen“, so der damalige Yamaha-Rennleiter. Doch Rossi wollte nach den vielversprechenden Tests das erste Rennen gewinnen.
Große Spannungen zwischen Honda und Yamaha
Mitte April startete die MotoGP-Saison 2004 mit dem Grand Prix von Südafrika in Welkom. Das Duell zwischen Yamaha und Honda stand im Fokus. Rossi erinnert sich an die Stimmung vor dem Auftakt: „Ich schaute mir die Tests in den Zeitungen an und Biaggi und Gibernau behaupteten, dass sie jetzt mit meinem Motorrad verstehen, warum ich damit gewann.“
Rossi war hochmotiviert, Honda zu besiegen. In allen Trainings lag der Titelverteidiger vorn. Im Qualifying stellte Rossi knapp die Pole sicher. Die Yamaha mit der Startnummer 46 und die beiden Hondas von Sete Gibernau und Max Biaggi bildeten die erste Startreihe.
„Es war ein Duell zwischen Honda und Yamaha. Das gab es bereits zuvor. Doch zudem gab es auch das Duell Biaggi vs. Rossi“, kommentiert Yamaha-Rennleiter Lin Jarvis. „Das kreierte zusätzliche Spannungen. Beide waren italienische Champions, die nie gut miteinander klarkamen.“
Valentino Rossi ringt Max Biaggi nieder
Yamaha-Pilot Valentino Rossi und Honda-Pilot Max Biaggi duellierten sich im Laufe des Rennens. Beide hatten Chancen auf den Sieg. Rossi zeigte eine extrem starke Leistung und setzte sich durch. „Ich erreichte die maximale Konzentration und meine bestmögliche Stärke. Ich befand mich auf dem Höhepunkt meiner Karriere“, kommentiert der Italiener.
„Ich war 25 Jahre alt und war verdammt stark. Das Motorrad war zu Beginn nicht so gut wie die Honda, doch ich gewann damit“, bemerkt Rossi. Mechaniker Alex Briggs bestätigt: „Das Motorrad war okay, aber es war nicht besonders gut. Valentino machte damals den Unterschied.“
Yamaha jubelt und fügt Honda eine bittere Niederlage zu
Mit dem Sieg schrieb Rossi Geschichte und sorgte im Lager von Yamaha für Feierstimmung. „Mit diesem Sieg in Welkom erhielten alle im Team einen enormen Antrieb“, bestätigt Yamaha-Rennleiter Lin Jarvis. Bei Honda hingegen waren die Gesichter lang. Nach vielen Jahren der Dominanz musste HRC eine bittere Niederlage verdauen.
Laut Yamaha-Teammanager Davide Brivio war Valentino Rossis Wechsel von Honda zu Yamaha der Beweis, dass nicht nur das Motorrad über Sieg oder Niederlage entscheidet. „Das Beste an dieser Zusammenarbeit von Yamaha und Valentino ist, dass wir in diesen Jahren zeigen konnten, wie wichtig der Fahrer ist“, freut sich der Italiener.
„Das war etwas, das in Vergessenheit geraten war. Die Rolle des Fahrers wurde unterschätzt. Valentino erinnerte jeden daran, dass der Fahrer wichtig ist“, erklärt der damalige Yamaha-Teammanager und fügt hinzu: „Er veränderte die Geschichte von Yamaha mit diesem Wechsel.“
Rossi selbst bedauert, dass er seinen Erfolg vom 18. April 2004 nur bedingt feiern konnte. „Unsere Flüge waren für den Sonntagabend nach dem Rennen gebucht. Das war einer der größeren Fehler in meiner Karriere“, scherzt Rossi und blickt stolz auf diesen Sonntag zurück: „Es ist das Highlight meiner Karriere.“
Text von Sebastian Fränzschky
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