Paolo Ciabatti - © Motorsport Images

© Motorsport Images – Paolo Ciabatti, bis Ende 2023 Ducati-Sportdirektor, hat das MotoGP-Programm verlassen

(Motorsport-Total.com) – Ducati hat vor wenigen Tagen eine große Umstrukturierung in der sportlichen Führung bekanntgegeben.

Paolo Ciabatti ist mit dem Jahreswechsel als Sportdirektor der Rennabteilung Ducati Corse zurückgetreten, um das neue Offroad-Programm der italienischen Marke aus der Position des General Managers zu leiten. Ciabattis Platz als Ducati-Sportdirektor wird eingenommen von Mauro Grassilli, der bislang für Marketing und Sponsoring zuständig war.

Das, was den Charakter dieses Schritts am besten erklärt, erscheint in der kurz vor Weihnachten von Ducati herausgegebenen Pressemitteilung etwas verschleiert. In seiner neuen Position berichtet Ciabatti nicht mehr an Luigi „Gigi“ Dall’Igna, den Generaldirektor des Unternehmens in Borgo Panigale, sondern direkt an Claudio Domenicali, den CEO.

Mit anderen Worten, dieser Wechsel stärkt die Position von Dall’Igna, dessen Einflussbereich weit über die rein technische Seite hinausgeht. Abgesehen von den ersten drei Jahren seit seiner Ankunft (2014), als Claudio Domenicali zunächst das Wirken des Ingenieurs genau beobachten wollte, hat Gigi Dall’Igna seither bei sportlichen Entscheidungen mehr und mehr an Wichtigkeit gewonnen. Und jetzt läuft alles über ihn.

Paolo Ciabattis Abgang aus dem MotoGP-Programm ist vor allem aufgrund des Timings bemerkenswert. Mit der Ankunft von Marc Marquez im Gresini-Team ist der Spanier im Vorstand des italienischen Herstellers zum Thema geworden. Eine der tragenden Säulen des Managementerfolgs von Ducati war immer Ciabatti, der sich durch sein Einfühlungsvermögen auszeichnet und durch seine Fähigkeit, Menschen durch Gespräche zu überzeugen.

Eine von Ciabattis Hauptaufgaben waren die Verhandlung der Verträge der Ducati-Fahrer – eine meist undankbare Aufgabe, die er aber stets konfliktarm löste. Wenn man sich den Lebenslauf und die geringe Motorsporterfahrung seines Nachfolgers Mauro Grassilli ansieht (er besuchte bislang nur an vier, fünf Grands Prix pro Jahr), ist es schwer vorstellbar, dass einer wie er Verhandlungen führen wird mit Francesco Bagnaia oder Jorge Martin – um nur zwei der Fahrer zu nennen, mit denen Ducati in den kommenden Monaten verhandeln muss.

„Es war immer sehr einfach, mit Paolo zu arbeiten. Er ist sehr höflich, einfühlsam und auch liebevoll. Er hat nie die Beherrschung verloren“, sagt etwa Jorge Lorenzo, mit dem Ciabatti seit der Ankunft des Spaniers bei Ducati (2017) ein freundschaftliches Verhältnis aufgebaut hat. „Jetzt, da sie dieses Offroad-Programm starten, ist mir klar, dass Ducati an der Spitze dieses Projekts jemanden braucht, der die Marke und das Niveau kennt“, so Lorenzo und weiter: „Für die MotoGP-Abteilung ist der Weggang von Paolo ein großer Verlust, aber für die Motocross-Abteilung ein großer Gewinn.“

Albert Valera, einst der Manager von Lorenzo und heute der Manager von Jorge Martin, erklärt den Wechsel von Paolo Ciabatti zu Mauro Grassilli so: „Abgesehen von seinen guten Beziehungen zu den Sponsoren spielte Paolo immer die menschliche Rolle. Deshalb lieben ihn alle Fahrer, denn er ist das Bindeglied zwischen ihnen und Ducati. Es ist ihm stets gelungen, Brücken des Verständnisses aufzubauen. Mauro ist sehr gut, aber wir müssen ihm Zeit geben, um zu sehen, ob er in der Lage ist, diese menschliche Seite zu entwickeln. Was die Sponsoren angeht, hat er viel von Paolo gelernt.“

Parallel zu diesen Zukunftsfragen wird eine der Hauptaufgaben des neuen Ducati-Sportdirektors darin bestehen, wie sich Marc Marquez einfügt. Das wird eine echte Herausforderung, wenn man bedenkt, wie zurückhaltend Marquez von den anderen Ducati-Fahrern (insbesondere den italienischen) aufgenommen wurde. Dieser Job schien wie geschaffen für jemanden mit dem Profil von Paolo Ciabatti, dem es mit seinem Charakter und seiner Methodik gelungen ist, das Vertrauen aller zu gewinnen.

Bei Ducati scheint man es jedoch zu mögen, sich selber das Leben schwer zu machen. Man hat es vorgezogen, die Angelegenheit in die Hände von Gigi Dall’Igna zu legen. Motorsport.com weiß, dass der Ingenieur einer der Hauptbefürworter der Verpflichtung von Marc Marquez war, während andere – wie Ciabatti oder Domenicali – eher zögerlich waren, Marquez einzubinden. Sie waren sich der Möglichkeit bewusst, dass die Harmonie, die so schwer zu erreichen war, gestört werden könnte.

Es ist noch nicht lange her, da ließ Ciabatti anklingen, dass Ducati Marc Marquez in der Tat als valide Option für einen Platz im Werksteam für 2025 in Betracht zieht. Es ist davon auszugehen, dass der Wettbewerb um die beiden Plätze hart umkämpft sein wird. Neben den offensichtlichen Kandidaten „Pecco“ Bagnaia und Jorge Martin – zweimaliger und aktueller Weltmeister einerseits, aktueller Vizeweltmeister andererseits – wird man auch die Genesung von Enea Bastianini im Auge behalten müssen. Er konnte in der Saison 2023 aufgrund mehrerer Verletzungen nicht seine Bestform zeigen.

Auf dem Papier ist auch Marco Bezzecchi ein Kandidat für eine der beiden roten Ducati Desmosedici. Es bleibt abzuwarten, in welche Richtung sich das VR46-Team entwickelt: ob man den Vertrag mit Ducati verlängert oder aber ob man den Hersteller wechselt. Zu all dem hinzu kommt jetzt noch eine so wichtige Figur wie Marc Marquez, der in den vergangenen Monaten mit mehreren seiner neuen Markenkollegen aneinandergeraten ist. Es wäre keine Überraschung, wenn sich einige von ihnen durch die Ankunft des Spaniers sogar verraten fühlen.

Niemand glaubt, dass Gresini den Vertrag mit Marc Marquez ohne die Zustimmung von Ducati hätte abschließen können – oder zumindest ohne die Zustimmung derer, die herausfinden wollen, was der sechsmalige MotoGP-Weltmeister mit einer Desmosedici zu leisten imstande ist. Angesichts der bevorstehenden Turbulenzen sahen viele in Paolo Ciabatti den am besten geeigneten Vermittler. Von nun an aber wären alle Brände, die ausbrechen könnten, nicht mehr sein Problem.

Eine mit dem Vorgang vertraute Person sagt gegenüber dem Autor dieses Textes: „Diese Umstrukturierung lässt sich mit zwei Gründen erklären. Erstens wollte Ducati dem Offroad-Bereich einen höheren Stellenwert einräumen, woran Gigi nicht interessiert ist. Zweitens ist Paolo die beste Person, um diesen neuen Bereich zu leiten. Außerdem wird sein Weggang aus dem MotoGP-Programm dazu führen, dass Dall’Igna weiter gestärkt wird, weil damit eine Figur wegfällt, die ein gewisses Gegengewicht bei seinen Entscheidungen bilden könnte.“

Text von Sebastian Fränzschky

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