(Motorsport-Total.com) – Das Gigantenduell zwischen dem zweimaligen und aktuellen MotoGP-Weltmeister Francesco „Pecco“ Bagnaia und dem sechsmaligen MotoGP-Weltmeister Marc Marquez um den Sieg im Grand Prix von Spanien 2024 in Jerez begeisterte nicht nur die rund 150.000 Zuschauer an der Strecke, sondern auch die TV-Zuschauer.
Nach mehreren Führungswechseln hat sich Bagnaia auf der aktuellen Werks-Ducati letztlich gegen Marquez auf der Vorjahres-Ducati des Gresini-Teams durchgesetzt. Für seinen dritten Jerez-Sieg in Folge musste „Pecco“ aber alles in die Waagschale werfen.
Die entscheidenden Szenen spielten sich in den Runden 21 und 22 in den Kurven 9 und 10 ab. Zunächst ging Marquez in der Angel-Nieto-Kurve (Kurve 9) innen an Bagnaia vorbei, aber der Italiener konterte direkt in der Peluqui-Kurve (Kurve 10). Dort kam es zu einer leichten Berührung. Marquez wollte die Tür zumachen, aber Bagnaia war schon innen neben ihm. Die Berührung hinterließ Reifenspuren an Marquez‘ Lederkombi.
Eine Runde später zog Marquez abermals in Kurve 9 innen an Bagnaia vorbei, war aber zu schnell und konnte die Linie nicht halten. In diesem Fall kam der Ducati-Werkspilot gleich am Ausgang von Kurve 9 wieder am Gresini-Ducati-Piloten vorbei. Und dabei blieb es.
„Das Duell mit Marc war anstrengend, keine Frage“, gibt Bagnaia zu. Er weiß: „Wenn du mit Marc kämpfst, dann musst du deine Ellbogen ausfahren.“ Genau das tat der zweimalige und amtierende MotoGP-Weltmeister bei seinem Konter in Kurve 10, kurz nachdem er die Führung an Marquez verloren hatte. „Er war smart, dass er sein Motorrad ein bisschen aufrichtete und ich war smart, dass ich in Schräglage blieb“, so Bagnaia.
„Normalerweise“, setzt Bagnaia fort, „ist es bei einer solchen Art von Berührung so, dass derjenige auf der Innenseite zu Fall kommt“. Genau das war bei einer ähnlichen Szene während des Saisonfinales 2023 in Valencia Marc Marquez im Duell mit Jorge Martin passiert. Und daran erinnert sich Marquez auch jetzt noch genau.
Enges Duell in Kurve 10: Marquez denkt an Valencia und gibt nach
„In Kurve 10 hatte ich einen Flashback“, bekennt Marquez. „Ich musste an Valencia und die ganz ähnliche Situation mit Martin denken. Damals bin ich durch die Luft geflogen. Deshalb habe ich es heute, auch wenn es nicht mein Fehler gewesen wäre, vorgezogen, das Motorrad aufzurichten.“ Nachsatz von Marquez in Anspielung auf seine Kollision mit Bagnaia vor wenigen Wochen in Portimao: „In Kurve 10 war es richtig eng. Beinahe wären wir beide wieder gestürzt. Diesmal aber habe ich nachgegeben.“
„Ich habe es heute in Kauf genommen, die Position herzugeben. So konnte ich es in der nächsten Runde noch einmal probieren“, sagt Marquez. Gesagt, getan. Weil er aber bei seinem zweiten Angriff auf Bagnaia in Kurve 9 zu schnell war und die Linie nicht halten konnte, war das Gigantenduell mit dem sofortigen Konter von Bagnaia an dieser Stelle entschieden.
Warum konnte Marquez anders als eine Runde zuvor die Linie in Kurve 9 nicht halten? „Mein Reifen war zu diesem Zeitpunkt schon zu heiß“, sagt er und erklärt: „Das erste Überholmanöver kam noch genau zum richtigen Zeitpunkt. Denn da waren mir ein bisschen die Hände gebunden. Hätte ich nicht überholt, dann wäre die Temperatur im Vorderreifen angestiegen und ich hätte nicht richtig bremsen können.“
Marquez anfangs vorsichtig – Bagnaia mit Schlussoffensive
Den Start hatte Marc Marquez, der Schnellste des Qualifyings, gewonnen. Bagnaia aber, der vom siebten Startplatz kam, setzte direkt in der ersten Runde ein Manöver von vorentscheidender Bedeutung. Am Ende der Gegengerade schoss er beim Anbremsen der engen Dani-Pedrosa-Kurve (Kurve 6) auf der Außenbahn an Marco Bezzecchi (VR46-Ducati) und an Jorge Martin (Pramac-Ducati) vorbei. Damit war „Pecco“ Zweiter direkt hinter Marquez.
„Die Startphase hat heute 60 Prozent meines Rennens ausgemacht“, sagt Bagnaia und verrät: „Gestern wollte ich genau dieses Manöver in Kurve 6 auch schon setzen, aber da war es auf der Außenbahn noch leicht feucht. Heute war es trocken und ich wollte es wieder probieren. Es hat perfekt funktioniert.“
Nachdem Bagnaia kurzzeitig an Marquez vorbeigegangen war, um die Spitze zu übernehmen, war es Jorge Martin, der Akzente setzte und seinerseits die Führung übernahm. Die aber schmiss er weg, als er es in der elften Runde beim Anbremsen der Dani-Pedrosa-Kurve übertrieb und mit für ihn unerklärlichem Sturz aus dem Rennen war. Von da an war der Kampf um den Sieg ein Zweikampf zwischen Bagnaia und Marquez.
In der drittletzten Runde markierte Bagnaia mit 1:37.449 Minuten die schnellste Runde des gesamten Rennens – bemerkenswert, weil die Reifen zu diesem Zeitpunkt schon 22 Runden alt waren. Marquez musste sich bei der Zieldurchfahrt nach 25 Runden um weniger als 0,4 Sekunden geschlagen geben. Bemerkenswert: Marquez fuhr seine persönlich schnellste Runde (1:37.637) sogar in der allerletzten Runde.
„Mit seiner schnellen Runde kurz vor Schluss hat er mich überrascht“, gibt Marquez zu und denkt zurück: „Mein einziger Fehler in diesem Rennen waren meine ersten fünf Runden.“ In dieser Phase verlor der Gresini-Pilot nach gewonnenem Start die Führung an Bagnaia, als ihn dieser in der Jorge-Lorenzo-Kurve (Kurve 13) der ersten Runde zum ersten Mal an diesem Tag überholte. Kurz darauf fiel Marquez auch hinter Jorge Martin und Marco Bezzecchi zurück, fand dann aber seinen Rhythmus und machte Attacke.
Dass er es in den ersten fünf Runden vorsichtiger angehen ließ, erklärt Marquez so: „Anfangs war ich ein bisschen verkrampft, nachdem ich gestern im Sprint einen Fehler gemacht habe. Ich bin halt auch nur ein Mensch. Deshalb war ich heute besonders vorsichtig.“ Und mit einem Schnippen der Finger fügt er hinzu: „Das Wichtigste aber war, dass ich die Pace hatte. Sobald ich an Bezzecchi vorbei war, gelang es mir, auf ‚Pecco‘ aufzuholen.“
Bagnaia vs. Marquez: Was in Jerez 2024 anders war als in Aragon 2021
Das Duell um den Sieg am Sonntag in Jerez war nicht das erste Duell um einen Grand-Prix-Sieg zwischen Francesco Bagnaia und Marc Marquez. Vor zweieinhalb Jahren, im September 2021, duellierten sich die beiden um den Sieg im MotorLand Aragon. Damals bestritt Bagnaia seine erste Saison im Ducati-Werksteam, während Marquez auf einer Honda saß.
Bagnaia setzte sich im Aragon-Duell damals durch und feierte seinen ersten MotoGP-Sieg. Inwiefern lassen sich die Duelle Aragon 2021 und Jerez 2024 miteinander vergleichen? „In Aragon hatten wir eine vergleichbare Pace“, denkt Bagnaia zurück. „Ich glaube sogar, dass er in den letzten Runden ein bisschen stärker war. Heute war es so, dass ich in den letzten zwei Runden noch ein kleines bisschen in der Hinterhand hatte.“
Und Marquez sagt in Erinnerung an Aragon 2021: „Das ist lange her. Seither ist er natürlich viel mehr an Kämpfe um den Sieg gewöhnt als ich es bin. Für mich war das ja heute der erste richtige Kampf um einen Sieg in einem trockenen Rennen seit zwei Jahren.“
Die Ducati geht in Alleinfahrt am besten: Marquez frohlockt
„Wie schon gesagt“, so Marquez, „war das Wichtigste für mich heute, dass ich die Pace hatte. Und selbst nach den ersten fünf Runden hatte ich den Speed, um aufholen und überholen zu können. Leider konnte ich in den letzten zwei Runden aufgrund der Reifentemperatur nicht mehr angreifen. Ich habe zwar nicht komplett aufgegeben, aber das Risiko eines dritten Sturzes hintereinander [nach Grand Prix in Austin und Sprint in Jerez] war mir dann doch zu groß“.
Und Bagnaia? Daran, am Sonntag in Jerez nach dem Sturz von Jorge Martin gegebenenfalls hinter Marquez als Zweiter ins Ziel zu kommen, um zumindest 20 Punkte für die WM mitzunehmen, daran dachte der Titelverteidiger eigener Aussage zufolge nicht: „Ich bin keiner, der in einer solchen Situation aufgeben will. Es ist zu früh [in der Saison], um so zu denken. Ab dem Moment als Jorge seinen Sturz hatte, kam ich mit meinem Motorrad besser zurecht. Ich konnte pushen und meine Rundenzeiten drücken.“
Genau das bestätigt auch Marquez. Für ihn ist der zweite Platz aus Jerez seine erste Top-3-Platzierung in einem Grand Prix, seit er im Winter nach elf Jahren von einer Honda auf eine Ducati umgestiegen ist. Im direkten Vergleich sagt der sechsmalige MotoGP-Weltmeister: „Mit der Honda kam ich besser zurecht, wenn ich jemanden direkt vor mir hatte. Mit diesem [Ducati-]Bike hingegen komme ich in Alleinfahrt besser zurecht. Das gefällt mir. Schauen wir mal, wie die nächsten Rennen laufen werden.“
Text von Mario Fritzsche
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