Elf Überholmanöver in drei Runden zeigten Bagnaia und Martin in ihrem Duell

(Motorsport-Total.com) – „‚Pecco“ hat nichts mehr zu verlieren.“

Das war der Satz, den Jorge Martin am Samstag nach dem MotoGP-Sprint in Sepang mit Blick auf den Grand Prix von Malaysia am Sonntag ausgesprochen hatte. Und der Tabellenführer sollte absolut Recht behalten.

Was der angesprochene „Pecco“ Bagnaia und Jorge Martin selber am Sonntag gezeigt haben, das war absolut sehenswert. Nachdem das Rennen aufgrund eines heftigen Startunfalls neu gestartet und von 20 auf 19 Runden verkürzt wurde, da besorgten es sich die beiden WM-Kandidaten im Führungsduell im Rennen so richtig.

Im Verlauf der ersten drei Runden wurden zwischen Bagnaia und Martin sage und schreibe elf Überholmanöver gezählt! Erst dann gelang es dem Italiener in Diensten des Ducati-Werksteams, einen kleinen Vorsprung auf den Spanier in Diensten von Pramac-Ducati herauszufahren. Letzten Endes hat Bagnaia mit 3,1 Sekunden Vorsprung auf Martin den Sieg eingefahren.

In der WM-Tabelle aber ist es weiterhin Martin, der die Trümpfe in der Hand hält. Vor dem Saisonfinale am 16./17. November in Barcelona hat der Pramac-Pilot nun 24 Punkte Vorsprung. Damit hat er am Sepang-Wochenende – trotz P2 hinter Bagnaia am Sonntag – insgesamt sieben weitere Punkte zwischen sich und seinen WM-Rivalen gelegt. Hauptgrund dafür war Bagnaias Sturz im Sprint am Samstag beim gleichzeitigen Sieg von Martin.

Am Sonntag war es Bagnaia, der als strahlender Sieger ins Ziel kam. Mit seinem bereits zehnten Saisonsieg (ohne Sprints) reiht sich „Pecco“ nun in eine namhafte Liste ein. Vor ihm haben es in der Geschichte der Königsklasse, die seit 1949 geschrieben wird, lediglich fünf andere geschafft, eine zweistellige Anzahl von Saisonsiegen zu erzielen. Giacomo Agostini ist das gleich viermal gelungen, Valentino Rossi dreimal, Casey Stoner und Marc Marquez je zweimal, Mick Doohan einmal.

Aber auch der zehnte Sonntagssieg von „Pecco“ Bagnaia in dieser Saison kann nicht verhindern, dass Jorge Martin direkt im Sprint des Finalwochenendes in Barcelona seinen nächsten Matchball zum Titelgewinn hat. Gewinnt Martin den Sprint auf dem Circuit de Barcelona-Catalunya, dann ist der 26-jährige Spanier der MotoGP-Weltmeister 2024 und der zweimalige MotoGP-Weltmeister Bagnaia ist entthront. So weit ist es aber noch nicht.

Wie Bagnaia und Martin ihr Sepang-Duell erlebt haben
Am Sepang-Sonntag ist es ganz klar das famose Duell der beiden, das im Mittelpunkt steht. „Ich finde, wir haben den Leuten zu Hause und auch hier an der Strecke eine gute Show gezeigt“, grinst Bagnaia. „Jorge war sehr aggressiv, aber es war ein ganz sauberer Zweikampf. Berührt haben wir uns nie.“

Martin gibt das Lob zurück: „Das war wirklich ein großartiges Rennen. Ich habe es sehr genossen und sage Danke an ‚Pecco‘. Obwohl wir so aggressiv waren, haben wir uns nicht berührt. Es gibt zwischen uns immer diesen Respekt. Wir wollen nicht Rennen fahren, um dem jeweils anderen das Rennen zu zerstören. Wir wollen einfach beide gewinnen. Ich glaube, das war eine tolle Show für die Fans.“

Bagnaia erinnert sich im Detail an das Duell. „Jorge war in Kurve 5 stärker“, spricht er auf die langgezogene Linkskurve an, an die sich direkt eine langgezogene Rechtskurve anschließt. In eben dieser Kurvenkombination zeigte Martin eines seiner Überholmanöver an Bagnaia, konnte aber die Linie nicht ganz halten und „Pecco“ kam sofort wieder vorbei. Genau dieses Szenario gab es im Verlauf der ersten drei Rennrunden an mehreren Stellen der Strecke.

„Ich selber war immer am Kurveneingang sehr stark und auch auf der Bremse“, sagt Bagnaia und erklärt: „Um mich überholen zu können, musste er über das Limit gehen. Zweimal habe ich es beobachtet, wie ihm dabei das Vorderrad weggerutscht ist. Der Zweikampf war wirklich am Limit.“

Martins Sichtweise auf das Duell lautet: „Ich hatte das Gefühl, mit ihm kämpfen zu können. Deshalb habe ich es probiert. Ab einem gewissen Punkt war mir das Risiko dann aber doch zu groß. Das war der Punkt, an dem ich entschieden habe, hinter ihm herzufahren. Das Problem ist nur, dass es genau ab diesem Moment mit der Performance bergab geht. Wenn es mir gelungen wäre, eine komplette Runde anzuführen, dann wäre es wohl anders gelaufen.“

„Es gab noch einen Punkt“, so Martin, „an dem ich ein bisschen auf ‚Pecco‘ aufholen wollte, aber dann ist mir in Kurve 9 ein Fehler unterlaufen. Das war für mich das Zeichen, es wirklich gut sein zu lassen.“ Kein Wunder: Denn genau in dieser Kurve 9 ist Bagnaia im Sprint am Samstag gestürzt und hat es Martin damit ermöglicht, auf einen Schlag zwölf Punkte auf seinen Vorsprung draufzupacken.

Bagnaia: Wieder die Bodenwelle in Kurve 9 erwischt …
Auch Bagnaia, der am Sonntag wieder fünf Punkte auf Martin aufgeholt hat, musste im Verlauf der 19 Rennrunden an Kurve 9 denken. Im Grand Prix lief es für ihn dort stets wie geplant: „Die Bodenwelle, auf der ich gestern gestürzt bin, die habe ich auch heute erwischt, bin aber nicht gestürzt. Umso ärgerlicher der Sturz von gestern. Ich schätze, manchmal soll es wohl einfach nicht sein. Mit meiner heutigen Leistung bin ich sehr zufrieden.“

Als sich Bagnaia mal ein wenig von Martin gelöst hatte, da „träumte ich davon, dass Enea oder Marc vielleicht an Jorge vorbeikommen, sodass ich noch ein paar mehr Punkte auf ihn gutmachen kann“. Dieser Traum aber erfüllte sich für den zweimaligen MotoGP-Weltmeister und aktuellen Tabellenzweiten nicht.

Zum einen ist Gresini-Ducati-Pilot Marc Marquez an dritter Stelle fahrend in Kurve 15 gestürzt und kam anschließend nur auf P12 ins Ziel. Zum anderen hatte Ducati-Werkspilot Enea Bastianini, der den dritten Platz nach Marquez‘ Sturz geerbt hat, nie die Pace, um Martin gefährlich werden zu können. Ins Ziel kam „Bestia“ mit mehr als sieben Sekunden Rückstand auf den Pramac-Piloten.

„Wir beide haben heute wieder eine unglaubliche Performance gezeigt. Ich möchte sagen, das macht einen schon sprachlos“, so Bagnaia über den Speed, den Martin und er selber seit Monaten an den Tag legen und damit bei normalem Verlauf der Rennen der Konkurrenz fast immer einen Schritt voraus sind.

Martins Barcelona-Ausblick: „Alles zu seiner Zeit“
Einen Schritt voraus gegenüber der Konkurrenz sind Jorge Martin und Francesco Bagnaia naturgemäß auch in der MotoGP-Gesamtwertung 2024. Während die beiden in zwei Wochen beim von Valencia nach Barcelona verlegten Saisonfinale den WM-Titel unter sich ausmachen, liegt die Konkurrenz schon dreistellig zurück.

Mit Blick darauf, dass er mit einem Sieg im Barcelona-Sprint am Samstag (16. November) den WM-Titel unter Dach und Fach bringen würde, bevor der Grand Prix am Sonntag (17. November) als 20. und letztes Saisonrennen überhaupt gestartet wird, äußert sich Martin aber bedächtig.

„Alles zu seiner Zeit. Wenn es am Samstag möglich ist, dann gerne. Aber das wird mit Sicherheit schwierig. Ich finde, der heutige Sonntag war ein gutes Training“, so der WM-Spitzenreiter. Sein Ziel hat Martin dabei klar vor Augen: „Ich werde versuchen, den Titel zu erringen, weniger für mich als vielmehr für die Leute in Spanien, für mein Team und für die Leute in meinem Umfeld. Sie verdienen es einfach. Also lasst es uns versuchen.“

Bagnaia, der für einen möglichen dritten MotoGP-Titel in Folge vor der schwierigen Aufgabe steht, an einem Wochenende mit maximal 37 zu vergebenen Punkten noch 24 Punkte aufholen zu müssen, sagt: „Mathematisch ist es noch möglich. Wir wissen, dass es schwierig wird, aber wir wissen auch, dass in Barcelona alles passieren kann. Im Sprint [Ende Mai] hatte ich eine Sekunde Vorsprung und bin gestürzt, als ich es unbedingt vermeiden wollte, einen Fehler zu machen.“

„Diesmal“, blickt Bagnaia auf das Wochenende 16./17. November voraus, „wird es bestimmt nicht einfach. Die Bedingungen werden kniffliger sein, weil es kälter sein wird. Und zwei Kurven sind in Barcelona besonders kritisch, nämlich Kurve 2 und Kurve 5.“

Bagnaias Barcelona-Hoffnung: „Hilfe von anderen“
Bagnaia weiß aber auch: „Ich habe noch immer eine Chance, aber ich brauche jetzt wirklich Hilfe von anderen. Denn wenn ich gewinne, dann wird Jorge Zweiter. Wir fahren beide einfach auf einem anderen Level.“

Und seinen Plan für Barcelona verrät der Ducati-Werkspilot an dieser Stelle auch gleich. „Ich werde im Verlauf des Wochenendes allen meinen Windschatten anbieten, in der Hoffnung, dass mir jemand folgen wird. Ich brauche einfach jemanden, der sich zwischen mich und ihn schiebt“, so Bagnaia.

Die naheliegendste Variante für diese Art von Hilfe in Barcelona wäre der eigene Teamkollege Enea Bastianini. Als der nach P3 in Sepang genau darauf angesprochen und gefragt wird, ob er Bagnaia beim Saisonfinale helfen wird, antwortet Bastianini mit einem Grinsen: „Ich denke schon, dass ich ‚Pecco‘ helfen kann. Ich denke aber auch, dass ‚Pecco‘ mir helfen kann.“

Damit spricht Bastianini natürlich auf sein eigenes Duell um den bevorzugten Platz in der finalen MotoGP-Gesamtwertung 2024 an. Während es für Bagnaia im Duell mit Jorge Martin um den WM-Titel geht, geht es für Bastianini im Duell mit Marc Marquez um den dritten Tabellenplatz. In diesem Duell hat Marquez aktuell einen einzigen Punkt Vorsprung.

Übrigens: WM-Spitzenreiter Jorge Martin hat am Sepang-Sonntag eine Geldstrafe in Höhe von 500 Euro kassiert. Die wurde im Nachgang zum Warm-Up am Vormittag ausgesprochen. Grund war ein „Unsafe Release“ durch seine Pramac-Crew in der Boxengasse.

Sollte Jorge Martin in zwei Wochen in Barcelona seinen ersten MotoGP-Titel erringen, wird er sich beim Pramac-Team mit mehr als 500 Euro bedanken müssen. Schließlich trennen sich die Wege unmittelbar nach dem Barcelona-Rennwochenende.

Bereits beim Test am Dienstag – der genau wie Sprint und Grand Prix von Valencia nach Barcelona verlegt wurde – wird Martin erstmals für seinen neuen Arbeitgeber Aprilia antreten. Dies würde er liebend gerne mit der Startnummer 1 tun …

Text von Mario Fritzsche

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