Ein Samstag im Dezember, strahlend blauer Himmel, ca. 2 Grad Celsius.
14:37 Uhr:
In Lieberhausen, einem verschlafenen Dörfchen des Oberbergischen Kreises, verschwindet ein in einem merkwürdigen Lederanzug gehüllter Mann in seiner Garage.
Zur gleichen Zeit auf dem Polizeirevier Gummersbach: Polizeihauptmeister Werner Knöllerich lümmelt sich entspannt in seinem Drehstuhl und hat die Füße auf dem Schreibtisch deponiert. Während er sich die 3. Tasse Kaffee dieses Tages verabreicht, scherzt er mit Olga, der Raumpflegerin, als diese seinen Papierkorb ausleert. Er hat gute Laune.
14:39 Uhr:
Aus der Garage wird von dem Belederten ein gefährlich aussehendes, schwarzes Einspurfahrzeug in die Einfahrt geschoben. Was hat er vor? Nach kurzem Gefummel am Choke leiert der Anlasser seine eintönige Melodie, entlockt dem Mikuni-TMR40-Vergaserpaar aber nur ein paar unwillige Rülpser.
Im Revier hat PHM K. seinen jungen Kollegen POM Kevin Schmitt-Lauch aufgesammelt. Ein fröhliches Liedchen pfeifend, packen die beiden ihre Taschen in den schmuck lackierten Dienst-Vectra. Beide sind sich sicher, dass es eine angenehm ruhige Streifenfahrt werden wird. Schließlich haben alle Saisonkennzeichler ihr Motorrad eingemottet, die Pilzsammler sitzen vor dem Kamin und die Cabrio-Yuppies haben ihre Schmuckstücke in beheizten Garagen versteckt.
14:42 Uhr, vor der Garage:
Widerwillig ist der hoch verdichtete Twin des schwarzen Krads vor einer Minute zum Leben erwacht. Mit noch etwas unrundem Motorlauf und furzenden Fehlzündungen sträubt er sich gegen die vom Ledermann verabreichten Gasstöße. Einige Nachbarn scheinen sich über die Lebensäußerungen des Motors zu freuen. Jedenfalls winken sie fröhlich über die Zäune der angrenzenden Grundstücke.
Knöllerich und Schmitt-Lauch haben derweil die Innenstadt verlassen und steuern ihren grün-weißen Boliden in Richtung Aggertalsperre. Beide amüsieren sich königlich über einen von Knöllerich zum Besten gegebenen Beamtenwitz.
14:45 Uhr, Garageneinfahrt:
Das dumpfe Grollen aus den Schalldämpfern des Twins klingt williger. Die bunt belederte Gestalt hat inzwischen einen Helm aufgezogen. Als sie sich mit einem sportlichen Schwung auf das Motorrad schwingt, sieht man deutlich einen geheimnisvollen Hohlraum im unteren Heckbereich des Lederanzuges. Was hat der Mann vor? Was hat er zu verbergen? Zusammen mit dem Geruch verbrannten Optimax-Treibstoffes bleiben diese Fragen wie ein Nebel über der Einfahrt hängen, während Mensch und Maschine diese verlassen.
Die beiden Ordnungshüter mussten inzwischen das Auge des Gesetzes auf einen StVO-Übertreter richten. Rentner Gerhard S. ist auf dem Weg vom Praktiker-Baumarkt in GM-Vollmerhausen nach Lieberhausen. Der neu erstandene Betonmischer (es gab 20 Prozent auf alles – außer Tiernahrung) in seinem Kofferraum verdirbt ihm erstens in jeder Kurve die Innenausstattung seines C 220 und zweitens dadurch seine Laune.
Weil er keine Lust hat, dass ihm das Teil an der Ampel in GM-Becke durch den Bremsvorgang wieder über die umgeklappte Rücksitzbank an die Kopfstütze dengelt, gibt er Gas und rauscht bei dunkelgrün über die Kreuzung. Weil das Wetter so schön ist und die beiden Sheriffs so gute Laune haben, belassen sie es bei einer Verwarnung und lassen Gerhard S. (dem natürlich sein Mischer mit Wucht vor die Kopfstütze gedonnert ist, als er für die Wachtmeister bremsen musste) ohne weitere Repressalien ziehen.
14:50 Uhr, Ortsausgang Lieberhausen:
Eine Gruppe Krefelder Senioren des Altenheims Tönisvorst ist mit einem großen Bus angereist und macht als Spaziergänger in ungeordneten Scharen das Umfeld des Aggertals unsicher. Eine Delegation dieser Fußgänger macht dem schwarzen Ungetüm nur widerstrebend bis gar nicht Platz.
Das von kundiger Hand eingeleitete Ausweichmanöver des Twin-Piloten, das mit einem lässigen Schlenker abgeschlossen wird, endet in einem üblen Rutscher, der nur um Nasenhaaresbreite noch abgefangen werden kann. Schlagartig ist in dem großzügig angelegten Stauraum des Lederanzuges im Gesäßbereich wesentlich weniger Platz… Der Fahrer denkt kurz über den zu erwartenden Grip der montierten Metzeler Rennsportreifen in nicht straßenzugelassener RS2-Mischung in Verbindung mit den winterlichen Temperaturen nach, konzentriert sich dann aber wieder auf die Bedienung des Fahrzeugs.
Die Polizeistreife hat mittlerweile auf einem sonnenbeschienenen Parkplatz an der Aggertalsperre Stellung bezogen und beobachtet den recht ruhigen Verkehr. Nichts passiert. Nirgendwo quietschen Reifen, keine Hupen sind zu hören. In Werner Knöllerichs gute Laune mischt sich eine dumpfe Vorahnung. Es ist ruhig – zu ruhig.
15:17 Uhr, Ortsausgang Pernze Richtung Drolshagen:
Das Kraftwerk unter dem bunten Reiter hat Betriebstemperatur. Erstmals werden die bis dahin ungeduldig klappernden Flachschieber vollständig geöffnet, und die Beschleunigerpumpen der Mikunis verrichten effizient ihren Dienst. Trotz nicht vollständig ausgedrehter Gangstufen geht es zügig den langgezogenen Berg hoch. Mit jedem Kilometer wird klarer, dass hier keine Butterfahrt gemacht wird und der Fahrer seine Aufgabe sehr ernst nimmt.
1 Stunde später, 16:17 Uhr:
Unsere beiden Freunde im Vectra sind auf dem Weg ins Revier. Einen kleinen Schlenker haben sie noch über Meinerzhagen zum Ferienzentrum Lieberhausen gemacht und stehen nun an der Kreuzung, um rechts abzubiegen, wo die Straße den Berg herunter nach Lieberhausen führt. Von links verläuft die Straße steil den Berg hoch, sodass die Kreuzung genau auf der Kuppe liegt. POM Schmitt-Lauch will gerade Gas geben, um auf die Straße zu fahren, als sein Kollege ihn zurückhält.
„Stopp, fahr noch nicht“.
Kaum hat Knöllerich ausgesprochen, liegt plötzlich ein dumpfes Grollen in der Luft. „Was ist…?“
Der Rest des von POM Schmitt-Lauch begonnen Satzes ist nicht mehr zu hören. Wie von Geisterhand erscheint plötzlich ein schwarzes Motorrad auf der Kuppe. Die Frequenz des markerschütternden Brüllens der Flachschieber verändert sich nur geringfügig, als der Fahrer genau auf der Kuppe kurz vor Einsetzen des Begrenzers vom 3. in den 4. Gang durchlädt. Nach dem Gangwechsel ist noch kurz das Donnern der garantiert db-Eater-freien 2-in-2-Racingschalldämpfer zu hören, als der Spuk auch schon vorüber ist.
Wie geht´s weiter?
Was ist in der Stunde dazwischen passiert?
Haben die Polizisten alles nur geträumt?
Warum ist der Anzug des Täters im Arschbereich so großzügig geschnitten?
Obwohl es sich bei dieser Geschichte um eine wahre Begebenheit und nicht um eine Folge der täglich vom Fernsehen verabreichten Seifenopern für Anspruchslose und Merkbefreite handelt, endet sie genau wie diese leider an der spannendsten Stelle.
Einen kleinen Tipp des Autors gibt’s aber zum Trost noch gratis:
Ein knackig-kalter und trockener Wintertag eignet sich hervorragend, um in unserem verkehrstechnisch überreglementierten und verknöcherten Land mal richtig fies am Kabel zu ziehen. Es rechnet nämlich keiner damit…
„Ich hätt` natürlich auch einfach schreiben können, dass ich am Samstag eine
Runde gedreht habe, es mich fast auf den Pinsel gehauen hat, es kalt, aber sonst
ganz geil war!“
Geschichte aus: Gaskrank 2 – Geschichten aus dem Brennraum
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