Es gibt keine schlechten Motorräder mehr. Nie zuvor waren die Motoren so potent, die Fahrwerke auf so hohem Niveau und die Elektronik so ausgefeilt. Das offenbart sich bei den teuren Supersportlern, die schon aus der Kiste in allen Bereichen mehr Potential mitbringen, als die Mehrheit der Fahrer jemals nutzen kann. Man spürt es aber auch in der Mittelklasse, aus der eben jene Mehrheit vorrangig ihre Motorräder kauft. Für den Kunden hat das den großen Vorteil, dass er sich über (fast) alle Marken hinweg, sein Traummotorrad aussuchen kann, ohne bei der Technik Kompromisse einzugehen. Die Hersteller stellt es im Gegenzug aber vor die große Herausforderung, dass sie ihr Image und die Marke schärfen und die Käufer auf einem anderen Weg erreichen müssen, um sich vom Rest des Feldes abzuheben.
Während die italienischen Hersteller schon immer mit Design und Emotionen beim Kunden punkten konnten, haben in den vergangenen 10 Jahren auch die anderen europäischen Marken erkannt, dass es mehr als verlässliche Motoren und moderne Technik braucht, um ganz vorne mitzuspielen. Die Erfolgsgeschichte von KTM in den letzten Jahren spricht hier für sich. Aber auch in Fernost tut sich inzwischen so einiges.
The Dark Side auf Japan
Während mit Honda der weltweit größte Motorradhersteller diesen Trend anscheinend bisher weitgehend verschlafen hat, hat allen voran Yamaha in den vergangenen 3 Jahren den Umschwung gewagt und mit der MT-Baureihe die Modellpalette umgekrempelt. Es hat sich gelohnt. Seit der Einführung der MT-09 im Jahr 2013 erweiterte Yamaha die MT-Reihe um vier Modelle (MT-125, MT-03, MT-07 und MT-10), verkaufte europaweit 110.000 Motorräder aus der MT-Familie und konnte in nur drei Jahren den Marktanteil in Europa von 10,2 auf stolze 16% ausbauen.
Doch es sind nicht nur die neuen Modelle, sondern vor allem auch das mit Ihnen verbundene Lebensgefühl, welches Yamaha in den Vordergrund stellt. Mit der Ankündigung der MT-10 rückte mit der „Dark Side of Japan“ Philosophie auch das Böse-Buben-Image mit in den Fokus und knüpfte mit der Flaggschiff-MT die Verbindung zur „dunklen Seite der Macht“. Nachdem die MT-09 erst im Frühjahr ein Update bekommen hat, präsentierte Yamaha dann im Oktober auf der Intermot überraschenderweise eine Neuauflage der Begründerin der Serie. Die Neue wurde nicht nur mit zusätzlichen, technischen Features aufgewertet, sondern vor allem im Design nachgeschliffen und schreibt unter dem Kapitel „Die Augen der Dunkelheit“ die Familiengeschichte fort. Und sie bietet jetzt tatsächlich viel mehr „Dark Side“ und vermag nun, wie die MT-10, auch zu polarisieren. Mehr böse, mehr Style, weniger Weichspüler.
Alles beim Alten?
Anfang Dezember präsentierte Yamaha das neue Eisen nun offiziell der angereisten Journallie auf Mallorca und auch ich hatte das Glück, eine Einladung zur Vorstellung zu erhalten. Aus sportlicher Sicht waren die Erwartungen an die Neue aber nicht allzu groß. Optisch taugte mir das neue Design zwar sofort, der Erstkontakt mit der MT-10 wirkte aber noch nach. Auch die große MT konnte direkt beim Thema Style überzeugen, ließ aber bei den Manieren (unsensibler Suffkopp) und der Sportlichkeit (hoher Lenker, inaktive Sitzposition) zu wünschen übrig. Und der Blick ins Datenblatt der überarbeiteten MT-09 zeigt hauptsächlich Altbekanntes. Radstand (1440 mm), Lenkkopf (65°) und Co. blieben unverändert und auch beim Motor hat sich nichts getan. Der CP3 getaufte Drilling drückt immer noch seine 115 PS und blieb auch sonst unangetastet. Allerdings war Leistung ja eigentlich nie das Problem der MT-09. Viel mehr waren es Fahrwerk und die Heckpartie, die bei forscher Gangart etwas Unbehagen hervorriefen und dem Piloten pumpend zu verstehen gaben, dass Dämpfen nicht zu den Stärken des Federbeins zählt. Hier versprach die Presseinformation aber ein überarbeitetes Fahrwerk und damit Besserung.
Aber es gesellten sich noch weitere Punkte auf die Habenseite. Das Modell für 2017 glänzt nämlich nicht nur mit einem neuen, aggressiveren Design, sondern wird auch ab Werk mit einer Traktionskontrolle, einer Anti-Hopping-Kupplung und – welch Freude – einem Schaltautomat ausgeliefert. Vor allem Letztgenannter wurde beim Test der MT-10 ja schmerzlich vermisst.
Die dunkle Seite Mallorcas
Vermisst wurde am Tag der Präsentation dann die Sonne. Stattdessen gab es wolkengrau und nass von oben. Farblich passte das zwar gut zum Design der Motorräder und zur „Dark Side“ Thematik, mit dem perforierten Lederkombi und der Lust auf Kurvenballern harmoniert das aber weniger. Die Grundatmosphäre unterstrich aber die neuen Akzente und Formen der MT. An der Front sticht hier vor allem die neu gezeichnete Lampenmaske ins Auge. Wie schon bei der MT-10 zu beobachten, scheint der Chef-Designer bei Yamaha ein großer Hollywood-Fan zu sein, ließ sich diesmal aber nicht von den Transformers inspirieren, sondern ging für die MT-09 in der Filmgeschichte etwas weiter zurück. Verbessert mich, wenn ich mich irre, aber ich würde Geld darauf wetten, dass die Front der neuen MT-09 an der „Schabe“ dem Bösewicht aus dem ersten Men in Black angelehnt ist. Wandert man nach hinten, fallen die neuen Verkleidungsteile am Kühler und die vergrößerten Lufteinlässe am Tank auf. Richtig interessant wird es dann wieder am Heck. Das ist jetzt drei Zentimeter kürzer und zeichnet sich durch einen neuen, an der Schwinge montierten, Kennzeichenhalter aus.
Feuchtfröhlich
Den äußeren Bedingungen zum Trotz schaffte es die neue MT, ab der ersten Minute zu begeistern. Schon beim Platznehmen verbesserte sich die Laune. Die neue, schmalere Sitzbank ist flacher und minimal höher als die der Vorgängerin (820 statt 810 mm) und platziert den Piloten etwas näher am Lenker. Die Rasten sind sportlich aber nicht unbequem positioniert und spannen mit dem breiten und nicht zu hohen Lenker eine Sitzposition auf, die fast so etwas wie Supermoto-Dynamik vermittelt. Und die Stimmung hob sich sogar noch beim Einlegen des ersten Ganges. Nicht nur, dass die erste Fahrstufe erheblich sanfter einrastest als bei der großen Schwester. Vielmehr ist es die extrem leichtgängige Kupplung, die sehr positiv auffällt. Neben der neuen Anti-Hopping-Kupplung verbaut Yamaha jetzt in der MT auch eine sogenannte Assist Clutch, die die Hebelkräfte um 20% reduzieren soll. Sehr angenehm. Also trotz Regen mit einem Lächeln einkuppeln und los.
Beim Anrollen fällt sofort eine weitere Änderung auf. Hatte ich nach der ruppigen Gasannahme der MT-10 beim Anblick der nassen Straßen noch so meine Zweifel, ob die Präsentation bei diesen Bedingungen eine so gut Idee ist, zerstreute die MT meine Bedenken schon auf den ersten Metern im Stadtverkehr. Yamaha hat der MT-09 bereits im Frühjahr ein Elektronik-Update spendiert, welches nicht nur mit einem überarbeiteten Mapping und einer sanfteren Gasannahme in allen drei Fahrmodi (A, STD, B) überzeugt, sondern die Leistung des Drillings im Notfall auch mit einer Traktionskontrolle einbremst. Beide Systeme funktionieren gut und schonen auf nassem Geläuf die Nerven des Fahrers. Aber nicht nur die überarbeitete Elektronik lässt die MT von Beginn an glänzen. Auch das Handling lässt keine Wünsche offen. Das wird spätestens klar, wenn man die Stadt hinter sich lässt und sich auf Kurvenjagd begibt. Wirklich zur Sache ging es während der Präsentation aufgrund des Wetters natürlich nicht, die kleinen und winkeligen Nebenstraßen des mallorquinischen Hinterlandes ließen aber erahnen, was für ein Kurvenräuber in der neuen MT schlummern könnte. Dass die MT mit dem breiten Lenker ein gutes Handling erwarten lässt, ist naheliegend, wie leichtfüßig und agil das Motorrad trotz der 193 kg ist, war dann aber doch überraschend. Vor allem bei gemäßigter Fahrt lässt sich das Motorrad fast spielerisch nur per Gewichtsverlagerung des Oberkörpers oder durch leichten Druck der Oberschenkel durch die Radien dirigieren und wirkt bei zu Hilfenahme der Lenkstange fast schon zu agil.
Agil ist auch das passende Stichwort für den Motor. Wie alle neuen Modelle kommt natürlich auch die MT mit EURO-4 konformer Auspuffanlage, dem Aggregat hat das aber nicht geschadet. Der Drilling schiebt ab niedrigsten Drehzahlen sehr homogen an und wirkt durch die landstraßengerechte Leistungsabgabe und das maximale Drehmoment von knapp 88 Newtonmeter bei 8500 U/min erheblich kräftiger, als sein 115 PS auf dem Papier vermuten lassen. So surft es sich entspannt von Kurve zu Kurve und falls es vor der nächsten Kehre nicht mehr fürs Runterschalten reicht, zieht man am Kurvenausgang einfach etwas mehr am Hahn und kommt trotz Drehlzahlkeller noch gut voran. Dank der Kombi aus Schaltautomat, Assist- und Slipper-Clutch animiert einen die MT aber eher zum munteren Angasen, denn zum gemächlichen Cruisen. Zu viel Spaß machen einfach die leichtgängige Kupplung und der Schaltautomat, auch wenn die Schaltwege etwas kürzer ausfallen könnten. Abgerundet wird das Landstraßen-Spaßpaket durch die tadellos funktionierende Bremsanalage. Zumindest dann, wenn die Straßen gerade nicht nass sind. Vor allem auf Mallorca hat der Spaß dann überraschend schnell zu Ende. Dies musste auch der Autor in einer engen Bergauf-Rechts erfahren, als das Vorderrad plötzlich nicht mehr dem Straßenverlauf, sondern der Fliehkraft folgte.
Mann und Motorrad blieben zwar nahezu unversehrt, ich kam dann aber dennoch in den Genuss, ein Ersatzmotorrad zu bewegen, welches mit Teilen aus dem MT-Zubehörkatalog auf Sport getrimmt wurde. Neben einer höheren, noch flacheren Sitzbank und dem Akrapovic-Endtopf aus Titan fielen hier vor allem die Gilles Fußrasten und Hebeleien, da sich besonders das Gefühl für die Vorderradbremse durch den geänderten Hebel spürbar verbessert.
Deutlich verbessert hat sich an der MT auch das Fahrwerk. Sowohl die Gabel als auch das Federbein wurden überarbeitet und machen einen sehr soliden Job. Die Elemente an der Front sind jetzt voll einstellbar und zeichnen sich durch getrennte Zug- (rechter Gabelholm) und Druckstufendämpfung (linker Gabelholm) aus. Aufgrund der Wetterbedingungen sind die Erfahrungen hier zwar nicht zu 100 Prozent aussagekräftig, aber auch bei zügigerer Gangart auf schlechtem Geläuf gaben sich weder Gabel noch Federbein eine Blöße. Und auch alle weiteren Anbauteile machen eine gute Figur und das Leben leicht. Die Spiegel passen nicht nur optisch sehr gut zum Style des Motorrads, sondern man erkennt in Ihnen auch den rückwärtigen Verkehr, die Armaturen sind puristischen, haben aber eine angenehme Ergonomie und der neue Tacho ist weiter nach oben und mehr in den Sichtbereich gerückt. Einzig die Ablesbarkeit der Drehzahl lässt aufgrund zu kleiner Ziffern zu wünschen übrig. Aber wenn es weiter nichts ist…
Die bessere Wahl
Nur ein halbes Jahr nach dem Update im Frühjahr bringt Yamaha ein neues Modell der MT-09 und untermauert damit den Anspruch auf die Vorherrschaft im Hubraumsegment um 800 Kubik. Und das neue Eisen kann sich mehr als sehen lassen. Während die große Schwester MT-10 hauptsächlich durch ihre Optik und den bärigen Motor punkten konnte, sammelt die 09er fleißig an allen Fronten Zähler. Der potente Motor lässt durch die saubere Gasannahme und den fülligen Drehmomentverlauf die auf die MT-10 fehlende Leistung vergessen, das Elektronikpaket ist vollständig und wird durch den Schaltautomat aufgewertet. Und das Motorrad wirkt durch das neue Design nicht nur im Stand dynamischer, sondern ist mit den 193 Kilogramm (vollgetankt) auch im Fahrbetrieb viel agiler als die Konkurrenz aus dem eigenen Haus. Bezieht man die knapp 4700 Euro Preisunterschied zur MT-10 (ab € 13.695, MT-09: 8.995 €) mit in die Überlegung ein, ist die neue MT-09 auf jeden Fall die bessere Wahl. Aber die Konkurrenz schläft nicht. Auch Triumph schärft aktuell die Klingen und schiebt für die Saison 2017 eine hubraumerstarkte Street Triple an den Start, KTM bringt mit der 790 Duke ebenfalls ein nackte Landstraßen-Waffe. Es steht also ein spannender Kampf um die Krone in der 800er-Klasse bevor.
Testride Yamaha MT-09 auf Mallorca
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