Drogen sind eigentlich ein heikles Thema. Ein jeder kennt die Horrorgeschichten, die mit einem kleinen Joint oder Alkoholkonsum in der Jugend beginnen und im Elend enden. Wie die meisten von uns jedoch auch wissen, müssen Abhängigkeiten aber nicht zwangsläufig an Schnaps, Cannabis und Co. gekoppelt sein. Man kann auch nach schönen Dingen süchtig werden. Motorrädern zum Beispiel. Und auch hier gibt es in der Regel ein Schlüsselerlebnis oder ein Fahrzeug, welches als Einstiegsdroge den Weg in eine intensive Abhängigkeit ebnet.
Bei mir war es im Teenageralter eine „Fuffziger“ vom Typ Simson S51, die mich unweigerlich in den Sog einer unheilbaren Moppedsucht zog. Gut, als Jugendlicher auf dem Dorf hatte man damals auch keine große Wahl. Eine Bahnanbindung gab es nicht, der Bus fuhr nur tagsüber und am Wochenende überhaupt nicht. Wollte man raus, musste ein Mopped her. Der Großteil derer, die damals mit Kleinkrafträdern angefangen haben, sind dann aber auch drauf hängengeblieben. Schicksal besiegelt sozusagen.
Heute hat sich die Situation des öffentlichen Nahverkehrs zwar deutlich verbessert und für die Mehrheit ist inzwischen das Auto der erste Schritt in die Mobilität, den Einstieg in eine handfeste Motorradabhängigkeit gibt es aber immer noch. Inzwischen fällt die Entscheidung aber meist aus freien Stücken. Durch das inzwischen höhere Alter beim ersten Konsum hat sich aber auch die Wahl der Einstiegsdroge verändert. Dank Volljährigkeit und A2-Führerschein findet der Erstkontakt heute gleich mit härteren Drogen – sprich – richtigen Motorrädern statt und die Suchtgefahr ist somit ungleich höher.
Eines der verlockendsten Mittelchen der vergangenen Jahre war Yamahas MT-07. Dank gelungenem Design, dem potenten Motor und dem günstigen Preis fiel es Interessenten nur sehr schwer, ihrer Verlockung zu widerstehen. Das Schlimmste daran: der Stoff ist massentauglich. Durch ihre Vielseitigkeit spricht die Begründerin der MT-Familie eine breite Zielgruppe an. Egal, ob Pendler oder Tourenfahrer, Neueinsteiger, alte Hasen oder Frauen, die Yamaha bietet allen den nötigen Kick. Wie verführerisch dieses Paket ist, zeigt sich an den Verkaufszahlen. In den vergangenen drei Jahren war die MT-07 in Deutschland Yamahas meistverkauftes Motorrad und lag hinter BMW´s Cash Cow GS auf Platz zwei in der Zulassungsstatistik. Hatte man also erst einmal Blut geleckt und eine Probefahrt auf der MT gemacht, war der Einstieg ins Milieu fast vorprogrammiert.
Das Gute und das Bessere
Um auch in Zukunft die Stellung als Top-Dealer am Markt zu behalten, bringt Yamaha für das Jahr 2018 eine überarbeitete Variante ihres Suchtmittels Nr.1 auf den Markt. Doch wie verbessert man einen Stoff, der Jung und Alt, Männern und Frauen sowie Sportlern und Tourern auch nach häufigem Konsum die gleichen Glücksgefühle beschert? Bei Yamaha setzte man auf die Erfahrungen von der Straße und das Feedback der Kunden und setzte bei der Entwicklung der neue MT auf Evolution statt Revolution. Denn die Gesamtkomposition der MT-07 war schon immer gut, einzelne Zutaten hinterließen aber bei heftigen Konsum einen faden Nachgeschmack. Allen voran war es hier das Fahrwerk, welches – deutlich unterdämpft – bei sportlicher Gangart dem Spaß doch spürbare Grenzen setzte. Aber auch das Platzangebot hinter dem Tank sowie der Sitzkomfort auf längeren Etappen waren verbesserungswürdig. Beiden Baustellen haben sich die Yamaha-Ingenieure glücklicherweise angenommen. Die Federelemente stammen immer noch aus dem Hause KYB, wurden aber für das Modelljahr 2018 überarbeitet. An der Front wurde die Standardgabel mit strafferen Federn und anderem Gabelöl aufgewertet und auch das Federbein ist nun mehr in Richtung straff abgestimmt. Am Heck lassen sich beim neuen Modell jetzt zusätzlich die Federvorspannung und die Zugstufen-Dämpfung einstellen.
Weniger ist mehr
Die auffälligsten Änderungen hat es aber bei der Optik gegeben. Nach der Einführung der stilistisch radikalen MT-10 und der ebenfalls mutig gestalteten Neuauflage der MT-09 hätte man für das Update der Ur-MT sicher ebenfalls ein offensiveres Design erwarten können. Die Yamaha-Designer übten sich bei der 2018er MT-07 aber eher in typisch japanischer Zurückhaltung. Das liegt vor allem an der bereits angesprochenen, großen Zielgruppe, für die die MT-07 als Motorrad infrage kommt. Zu unterschiedlich sind hier die Geschmäcker und Nutzungsgewohnheiten und zu groß ist die Gefahr, dass man mit gewagten und polarisierenden Design-Experimenten einen Teil der potentiellen Käuferschaft verschrecken könnte.
Das Ergebnis kann sich dennoch mehr als sehen lassen, auch wenn die Änderungen teils erst auf den zweiten Blick ins Auge fallen. An der Front schaut man in ein vertrautes Gesicht, obwohl der Scheinwerfer breiter geworden und nun von kleinen Winglets eingefasst ist, die ein wenig an die MT-09 erinnern. Die Blinker sind nach unten gewandert und sitzen jetzt seitlich am ab 2018 komplett schwarzen Kühler. Die Lufthutzen und der Tank fallen nun ebenfalls voluminöser aus, wobei letztgenannter zehn Millimeter kürzer ist als beim Vorgängermodell. In Kombination mit der umgestalteten Sitzbank verspricht Yamaha nun vor allem für größere Fahrer mehr Platz und eine verbesserte Ergonomie. Ebenfalls neu designt wurde das Heck der MT-07 und vereint Elemente der größeren Schwestern. Während die Form der Verkleidung an die MT-10 erinnert, diente beim geänderten Rücklicht die aktuelle MT-09 als Inspiration. Der Rest der Änderungen beschränkt sich auf farbliche Akzente. Lenker, Rasten und die Rahmenabdeckung sind jetzt komplett in schwarz gehalten, was nicht nur die „Dark Side“-Philosophie besser transportiert, sondern sich auch erheblich besser ins Gesamtbild einfügt. Grundsätzlich kann man die Designänderungen als sehr gelungen bezeichnen. Denn obwohl die MT-07 schon immer ein vollwertiges Motorrad war, wirkt sie nun deutlich wertiger und erwachsener. Für diejenigen, denen die Neuerungen nicht weit genug gehen, bietet Yamaha, wie inzwischen üblich, ein umfangreiches Zubehör-Paket. Der Teile-Katalog umfasst von diversen Abdeckungen über den Akrapovic-Endtopf bis zum Kennzeichenhalter alle gängigen Accessoires. Doch in erster Linie will man sich ja nicht an der Optik berauschen. Was wirklich kickt, sind Fahreindrücke. Also rein ins Leder und rauf auf den Bock.
Alter Vertrauter
Nimmt man auf der Neuen Platz, merkt man direkt wieder, weshalb die MT-07 so ein erfolgreiches Motorrad ist. (Fast) völlig egal, wie groß man ist – alles ist an seinem Platz, der Lenker liegt gut in der Hand und die Füße finden wie von selbst auf die Rasten. Allerdings hat das Modell 2018 in Sachen Ergonomie noch mal zugelegt. Die neue Sitzbank ist etwas straffer, bietet nach hinten erheblich mehr Platz und positioniert den Fahrer durch den nun kürzeren Tank auch etwas näher am Lenker. Das kommt der Sportlichkeit zu gute. Der Knieschluss fällt schmal aus – und das trotz des ab diesem Jahr breiteren Tanks. Beim Druck auf den Anlasser erwacht dann ein alter Vertrauter zum Leben. Motorseitig hat sich bei der MT-07, Modelljahr 2018, nämlich nichts getan. Hier werkelt immer noch der 689 Kubikzentimeter große, 75 PS starke Reihen-Zweizylinder im Stahlrohrrahmen der MT. Dieser gab in der Vergangenheit keinen Grund zum Klagen und daran hat sich auch nichts geändert. Der drehfreudige Zwilling nimmt in allen Lebenslagen ordentlich Gas an und drückt laut Yamaha immer noch ab 2.000 U/min 60 Newtonmeter Drehmoment ab. Das ist auch absolut realistisch, da sich auch die MTs bei der Vorstellung im unteren Drehzahlbereich kräftiger anfühlten, als die 75 PS vermuten lassen. Zwar läuft das Triebwerk etwas rau, nervt aber nicht mit Vibrationen, was der ganzen Sachen auf angenehme Weise Charakter verleiht. So erwischt man sich schon auf den ersten Metern dabei, wie man schon bei niedrigen Drehzahlen ordentlich den Hahn spannt, um auf der früh einsetzenden Drehmomentwelle aus den Ecken zu surfen. Während der Ausfahrt sorgte das allerdings bei dem ein oder anderen Fahrer für heftige Schreckmomente. Die Präsentation der MT fand zwar in Marbella im Süden Spaniens statt, die Straßen waren am Morgen aber noch feucht, in schattigen Passagen teils sogar nass. Ruppige Gasannahme ist bei der MT zwar kein Thema, die Kombination aus Drehmoment, feuchtem Belag und der Erstbereifung vom Typ Bridgestone S23 (Sonderspezifikation M) ist aber mit Vorsicht zu genießen. Regelmäßig keilte die MT mit dem Heck aus und auch das Vorderrad wollte mit sanfter Hand um die Ecken dirigiert werden. Gerade vor langsamen Kehren in Bergab-Passagen freut man sich da über die, mit 245 Millimeter mächtige, gut funktionierende Hinterradbremse der 07.
Günstig, nicht billig
Generell funktioniert an der MT alles, wie es soll. Das macht sich vor allem dann bemerkbar, wenn das Tempo zunimmt. Mit Leichtigkeit zirkelt man die MT am breiten Lenker durch Radien jeder Art, erfreut sich beim Gasgeben am Kurvenausgang an der gut abrufbaren Leistung, steppt, wenn nötig, durch das leicht zu schaltende Getriebe und fängt die Fuhre mit der sauber zu dosierenden Bremse vor der nächsten Kehre punktgenau wieder ein. Dabei macht die Kombination aus zwei 4-Kolben-Sätteln und 282er Scheiben eine gute Figur. Die nötige Handkraft ist gering und zwei Finger reichen in der Regel aus, um vor dem Abwinkeln die aufgebaute kinetische Energie in Wärme und Bremsstaub zu verwandeln. Besonders positiv fällt beim fröhlichen Angasen aber die leicht geänderte Sitzposition und das überarbeitete Fahrwerk auf. Die neu gestaltete Sitzbank bietet viel Bewegungsfreiheit und Platz zum Turnen und die Federelemente arbeiten jetzt spürbar straffer und erheblich harmonischer. Die MT ist natürlich immer noch kein Rennpferd, auf der Haustrecke und in geübter Hand kann man damit aber locker dem ein oder anderen Sportfahrer das Fürchten lehren.
So segelt man mit einem entrückten Lächeln auf den Lippen von Kehre zu Kehre und wären da nicht die früh aufsetzenden Angstnippel und das mahnende Geräusch von schleifendem Metall auf Asphalt, würde man sicher alle Regeln des öffentlichen Verkehrs hinter sich lassen und sich vollends dem Kurvenrausch hingeben. Für die MT wäre ein entsprechend langer Trip auch überhaupt kein Problem. Das Spritreservoir fasst zwar nur 14 Liter, bei einem Verbrauch von lediglich um die 4 Liter kommt man aber gut 300 Kilometer, bis man sich neuen (Brenn)Stoff besorgen muss.
Evolutionsstufe
Mit der 2018er MT-07 hat es Yamaha geschafft, ein schon gutes Motorrad in allen Bereich noch ein ganzes Stück zu verbessern. Hierfür haben die Japaner das getan, was man sich eigentlich von allen Herstellern wünscht: Sie hatten ein offenes Ohr für die Wünsche der Kunden. So nahmen sie sich nicht nur dem großen Kritikpunkt Fahrwerk an, sondern verbesserten gekonnt auch noch mal die Ergonomie. Aber nicht nur hier hat die MT einen großen Schritt nach vorne gemacht. Auch optisch wurde die 07er deutlich nachgeschliffen. Durch den größeren Scheinwerfer, den voluminöseren Tank und das neu gestaltete Heck wirkt sie spürbar erwachsener und die jetzt vollständig in Schwarz gehaltenen Anbauteile versprühen nun auch bei der MT-07 erheblich mehr „Dark Side of Japan“-Spirit. In Kombination mit dem potenten und charakterstarken Motor ergibt sich so eine Mischung, die für einen schmalen Euro (6.795 Euro plus Nebenkosten) jede Menge Suchtpotential birgt. Ich bin auf jeden Fall angefixt.
Testvideo
TECHNISCHE DATEN – Yamaha MT-07 (2018)
MOTOR
Typ: Flüssigkeitsgekühlter Zweizylinder-DOHC-Reihenmotor
Hubraum: 689 ccm
Bohrung x Hub: 80 x 68,6 mm
Verdichtung: 11,5:1
Max. Leistung: 55kW (74,8 PS) bei 9.000 U/min
Max. Drehmoment: 68 Nm bei 6.500 U/min
Fahrhilfen: ABS
Kupplung: Mehrscheiben-Ölbad-Kupplung
Getriebe: 6-Gang-Getriebe
FAHRWERK
Vorne: 41-Millimeter KYB Telegabel, 130 mm Federweg, nicht einstellbar
Hinten: KYB Federbein, 130 mm Federweg, Vorspannung und Zugstufe einstellbar
Bremsen: Zweischeiben-Bremse (282mm) mit 4-Kolben Bremssätteln vorne, 245-mm-Einzelscheibe mit Einkolben-Schwimmsattel hinten, ABS;
Räder/Reifen: 17 Zoll Leichtmetall-Gussräder; 120/70 ZR 17 und 180/55 ZR 17 (Bridgestone S23 M)
MASSE/GEWICHTE
Radstand: 1400 mm
Lenkkopfwinkel: 24,5 Grad
Nachlauf: 90 mm
Sitzhöhe: 805 mm
Gewicht (fahrfertig): 182 kg
Tankinhalt: 14 Liter
FARBEN/PREISE
Farben: Night Fluo, Tech Black, Yamaha Blue
Preise: 6.795,- € (plus Nk.)
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