Michelins Road 4 gehörte in den letzten Jahren zu den erfolgreichsten Sport-Touring-Reifen und verkaufte sich in Europa über 1,5 Millionen Mal. Zur Saison 2018 rollen die Franzosen nun den Nachfolger an den Start.
Um auch in Zukunft bei den Verkaufszahlen an der Spitze mitspielen und im Kampf um Marktanteile mit Bridgestone, Continental und Co. mithalten zu können, nahmen sich die Ingenieure bei der Entwicklung der fünften Generation des Road – der Erste ging schon im Jahr 2002 in den Verkauf – von der Karkasse über die Mischung bis hin zum Profil alle relevanten Bereiche vor und bringen mit dem Road 5 einen von Grund auf überarbeiteten Reifen in die Regale der Händler.
Für die Entwicklung des Reifens definierte Michelin mit Nasshaftung, Laufleistung und Trockengrip drei Schlüsseleigenschaften, die bei Sport-Tourern – dem Segment, mit den laut Michelin vielfältigsten Ansprüchen – die größte Bedeutung haben. Um in allen Bereichen Verbesserungen zu erreichen, setzt Michelin dabei nicht nur auf die aktuellsten Erkenntnisse aus der hauseigenen Zweirad‑Entwicklungsabteilung, sondern nutzt auch Synergien und neue Techniken aus der Pkw-Sparte.
Die augenscheinlichste Veränderung des Road 5 ist mit Sicherheit das Profil, das vom Design her nun stark an den 2017 präsentierten Supersportreifen Power RS erinnert. Für die eigentliche Innovation muss man aber etwas genauer hinsehen, denn die befindet sich zwischen den Vertiefungen des Negativprofils. Michelin setzt hier erstmals im Motorradreifenbau auf die hauseigene XST Lamellentechnologie.
Diese stammt ursprünglich aus dem Automobil-Bereich und feierte nach mehrjähriger Entwicklungszeit 2014 ihren Einstand bei den Pkw-Reifen. Die im Road 5 genutzte XST Evo Technik sorgt dafür, dass sich die Lamellenkanäle in der Tiefe aufweiten und sich bei zunehmender Laufleistung zu Reservoirs vergrößern. Dadurch soll auch nach der Hälfte der Lebenszeit des Reifens ein hervorragender Nassgrip gewährleistet werden. Um diese komplexen Profildesigns in Serie produzieren zu können, kommen in den Produktionsformen spezielle Werkzeuge zum Einsatz, die die Kombination von Lamellen und Reservoirs überhaupt erst ermöglichen.
Aber nicht nur das neue Profil sorgt für einen verbesserten Nassgrip, auch bei der Gummimischung hat sich einiges getan. Michelin vertraut auch beim Road 5 auf die bekannte 2CT-Technologie (härtere Mischung in der Laufflächenmitte, eine softere auf den Schultern), in der die modernsten Mischungen zum Einsatz kommen. Diese enthalten für eine kurze Aufwärmphase nicht nur die neuste Generation an Elastomeren aus der hauseigenen Entwicklung, auch der Silica-Anteil wurde für besseren Grip unter feuchten Bedingungen optimiert. Während am 2CT-Vorderrad beide Mischungen durch Silica auf optimale Nasshaftung ausgerichtet sind, steht am Hinterrad eher die Trocken-Performance im Fokus. Wie beim Power RS kommt hier in der weichen Mischung Russ zum Einsatz, um den Trocken-Grip zu verbessern.
Darüber hinaus nutzen die Franzosen die 2CT+ Bauweise, die ebenfalls schon von der Sportpelle bekannt ist. Anders als beim Vorderrad setzt sich die harte Mischung aus der Laufflächenmitte unter der soften Mischung zu den Reifenschultern hin fort und sorgt so für mehr Stabilität. Maßgeblich wird diese aber von der Karkasse eines Reifens beeinflusst und auch hier bedienten sich die Ingenieure mit der ACT+ Technologie einer Technik des Power RS. Bei der „Adaptive Casing Technology“ wird die Karkasse auf den Schultern umgeschlagen und dadurch gedoppelt. Während die einfache Lage in der Reifenmitte laut Michelin für viel Auflagefläche und so für Stabilität bei schneller Geradeausfahrt sorgt, sollen die Flanken durch die gedoppelte Karkasse auch bei sportlicher Fahrt in Schräglage sehr stabil sein und sich kaum verformen.
Die sportliche Note des Road 5 spiegelt sich auch im Profildesign und vor allem in der Verteilung wider. Wie bei supersportlichen Reifen findet sich auf den äußeren Schultern nämlich kein Negativprofil, was die Auflagefläche vergrößert und so nochmals für maximalen Grip in Schräglage sorgen soll.
Um genau diesen sportlichen Grip ging es beim ersten Workshop im Rahmen der Reifenvorstellung. Die Bedingungen waren zu Beginn aber alles andere als förderlich. Michelin hatte als Bühne zwar die Gegend um Sevilla und den Circuito MonteBlanco gewählt, der Süden Spaniens gab sich während der ersten Session am Morgen aber noch recht unterkühlt. Lediglich sieben Grad zeigt das Thermometer in der Boxengasse, zusätzlich blies ein frischer Wind um den Kurs.
Den Reifen konnte das aber nicht beeindrucken. Im Gegenteil. Eine Runde auf dem 4,43 Kilometer lange Kurs reichte aus, um den brandneuen und kalten Reifen auf Temperatur zu bringen und schon im zweiten Umlauf ermöglichte der Road 5 anstandslos die forsche Gangart. Michelin versteht den Road 5 als sportlichen Touringreifen für das ganze Jahr und gibt als Einsatzbereich Temperaturen von knapp über Null bis zu hochsommerlichen Plus-Graden an. Bei der gelieferten Performance ist ein sorgenfreier Einsatz bei einstelligen Temperaturen absolut realistisch. Wie sich der Reifen aber bei sommerlichen Witterung und längerer, sportlicher Gangart schlägt, bleibt abzuwarten.
Doch der Road 5 überzeugte im ersten Umlauf auf Ducati Supersport nicht nur mit Grip, sondern auch mit neutralem Einlenkverhalten und minimalem Aufstellmoment beim Bremsen in Schräglage. Lediglich die Rückmeldung und die erste Reaktion auf den initialen Lenkimpuls könnten etwas direkter ausfallen. Letzteres fiel im zweiten Turn auf BMW S1000XR dank des breiten Lenkers aber nicht mehr ins Gewicht.
Paradedisziplin
Für Sport-Tourer und Ganzjahresfahrer ist der Grip unter mehr oder weniger idealen Bedingungen aber nur ein Teilaspekt dessen, was ein Reifen leisten können muss. Denn vor allem wenn es ungemütlich wird, trennt sich die Spreu vom Weizen.
Um auch die von Michelin vorab hochgelobte Nass-Performance testen zu können, hatten die Franzosen auf einem bewässerten Teilstück der Strecke einen Parcours eingerichtet, auf dem das Fahren in Schräglage, eine Vollbremsung aus Landstraßentempo (110 km/h) sowie das Ausweichen auf nassem Asphalt getestet werden konnte. Und hier konnte der Road 5 so richtig glänzen. Gefahren wurden auf Yamaha MT-10 und Triumph Street Triple RS und vor allem auf Letztgenannter wurde die Vollbremsung im Nassen zur Paradedisziplin des Road 5. Wirklich beeindruckend, wie hart man auch auf feuchtem Geläuf den Anker werfen kann. Auch vehementes Verzögern mit den Mega-Stoppern der Streety – hier ist feinstes Brembo-Material verbaut – bringt das ABS der RS kaum in den Regelbereich und staucht die Fuhre sicher zusammen.
Wie gut die Mischung aus XST Evo Lamellen und der neuen Silica-Mischung aber tatsächlich funktioniert, wurden anschließend im Direktvergleich eines neuen Road 4 gegen einen gebrauchten Road 5 von einem Michelin-Entwicklungsfahrer demonstriert. Trotz einer Laufleistung von circa 5.000 Kilometer kam die Road 5 bereifte Vorführ-Suzi immer deutlich früher zum Stehen.
Doch Fahren unter kontrollierten Bedingungen ist das eine, das Verhalten auf öffentlichen Straßen noch mal eine ganz andere Kategorie.
Um die Alltagstauglichkeit zu testen, ging es daher anschließend ins andalusische Hinterland. Hier konnte der Road 5 auf diversen Motorrädern und Straßen unterschiedlichster Qualität zeigen, aus welchem Holz er geschnitzt ist. Aber auch hier gab sich die Pelle keine Blöße. Egal, ob auf einem Einsteiger-Mopped wie der Yamaha MT-07, einer Cruiser à la BMW R Nine T, oder einem Kraftmeier wie der Aprilia Tuono 1100, der Road 5 harmoniert mit allen Gewichts- und Leistungsklassen und überzeugte durch ein sehr neutrales Handling. Und auch die zügige Landstraßen-Hatz taugt dem Reifen gut, wie er am späten Nachmittag noch unter Beweis stellen konnte. Als Pulsbeschleuniger dienten eine Triumph Speed Triple R und eine Kawasaki Z1000 SX.
Was sich vorher bei normalen Landstraßentempo andeutete, bestätigte sich nun auch bei verschärfter Gangart. Der Road 5 verhält sich auf den unterschiedlichsten Motorrädern sehr ausgewogen und harmoniert mit leichten Allroundern und Tourern im Mittelgewicht gleichermaßen. Auch die Kombination aus frühlingshaften Temperaturen, dem rauhen Asphalt spanischer Nebenstraßen und sportlich verwerteter 140 PS plus konnten ihm nichts anhaben.
Wie sich die Sache bei hochsommerlichen Temperaturen und dauerhaft entsicherter Gashand verhält, konnte aber nicht geklärt werden.
Allround-Talent
Der neue Michelin Road 5 löst in diesem Jahr den Sport-Touring Top-Seller Road 4 ab und tritt damit nicht nur ein schweres Erbe an, sondern muss sich auch gegen sehr starke Konkurrenz behaupten. Bei der Vorstellung zeigte er sich jedoch als potenter Allrounder, der vor allem mit einer sehr beeindruckenden Nass-Performance punkten konnte.
Darüber hinaus überzeugte der Reifen bei kühlen Bedingungen mit einer sehr kurzen Aufwärmphase und mächtig Grip ab dem ersten Meter. Abgerundet wurden der gute Eindruck durch das sehr neutrale Handling auf den unterschiedlichsten Motorrädern sowie das durchaus vorhandene sportliche Potential des Road 5.
Einen kleinen Wermutstropfen gab es aber doch. Wie schon beim Vorgänger soll es auch für den Road 5 für die Dickschiff-Klasse à la Yamaha FJR 1300 oder BMW K 1600 eine GT-Version des Reifens geben, welche aber zum Zeitpunkt der Präsentation leider noch nicht verfügbar war.
Ähnlich verhielt es sich mit der Modellvariante „Trail“, die für große Reise-Enduros mit 19-Zoll-Vorderrad gedacht ist. Beide Modelle sollen laut Michelin ab Mitte des Jahres in den Handel kommen.
Neueste Kommentare