(Motorsport-Total.com) – Mit der Bestzeit beim finalen Test vor dem Saisonstart hat sich Ducati-Werkspilot Jack Miller in den Kreis der großen Favoriten gefahren.
Auf dem Losail International Circuit muss erfahrungsgemäß mit Ducati gerechnet werden. Doch wie geht es danach weiter? Wir haben uns vor dem Auftakt in Katar exklusiv mit ServusTV-Experte Alex Hofmann unterhalten und die Chancen von Ducati besprochen.
Nach acht gemeinsamen Jahren gingen Andrea Dovizioso und Ducati getrennte Wege. Ducati hat sein Fahreraufgebot von 2020 zu 2021 stark verjüngt. „Es ist noch ein bisschen wie zu meiner Zeit“, bemerkt ServusTV-Experte Alex Hofmann und erinnert sich an die Saison 2007, als Neuzugang Casey Stoner in der ersten Saison mit den 800er-Maschinen die Kräfteverhältnisse durcheinander brachte.
„Sie setzen nach vielen Jahren wieder auf Risiko, wie es 2007 bereits mit Casey Stoner der Fall war. Zuvor hatten sie viel Geld in Fahrer investiert, die einfach einen gewissen Status hatten, wie es bei Jorge Lorenzo und Andrea Dovizioso der Fall war. Jetzt setzen sie wie damals bei Casey Stoner auf Risiko“, erkennt Alex Hofmann im Video-Interview auf dem YouTube-Kanal von Motorsport-Total.com einige Parallelen.
„Stoner kam damals erstmals in ein Werksteam und konnte überzeugen. Er hat Ducati den MotoGP-Titel gebracht. Es ist ein ähnliches Risiko. Ob die Fahrer das Niveau von Casey haben und das hinbekommen, ist eine andere Frage. Die Chance ist da“, ist Hofmann überzeugt.
Alex Hofmann warnt: Katar ist kein perfektes Abbild der Kräfteverhältnisse
„Man muss den Europaauftakt abwarten“, warnt Hofmann vor zu viel Euphorie bei den Ducatisti. „Katar ist eine Ducati-Strecke. Es ist eine Power-Strecke. Da ist die Ducati schon immer alleine herumgefahren. Ab Jerez wird es spannend.“
Den neuen Kurs von Ducati begrüßt der ServusTV-Experte: „Es ist schön, dass sie sich etwas anderes haben einfallen lassen. Man sieht, dass Dovizioso schnell in Vergessenheit gerät. Was aber für ihn sprach war seine extreme Konstanz. Es ist vorstellbar, dass Jack Miller und Francesco Bagnaia mehr Höhen und Tiefen haben werden.“
Kämpft Jack Miller erstmals seit 2014 wieder um einen WM-Titel?
Die MotoGP-Saison 2021 ist für Jack Miller bereits das siebte Jahr in der Königsklasse. Im Vorjahr stieg der Australier vier Mal aufs Podium. Was traut Alex Hofmann dem neuen Ducati-Teamleader zu? „Ich kann mir vorstellen, dass er mit Ducati den Schritt macht und die Konstanz findet“, bemerkt der ServusTV-Experte.
„Jack hat einen recht harten Schritt in die MotoGP gemacht von null auf 100. Er kam aus der Moto3 direkt in die MotoGP. In der Moto3 fuhr er um den WM-Titel. Dann kam die lange Durststrecke, in der er kein Titelkandidat war. Da ist er jetzt durch“, ist Hofmann überzeugt. „Jack macht sich nicht zu viele Gedanken. Das ist wichtig.“
„Im Kopf hat er die Reife und die Stärke, um das ganze Jahr vorne mitzufahren. Jack hat in den vergangenen Jahren gezeigt, wie groß sein Potenzial ist. Er hatte schon das Vertrauen von Ducati. Sie hatten bereits auf ihn gesetzt, was die Zukunft angeht. Er konnte überzeugen. Wenn er diesen Schwung und dieses Mojo mitnehmen kann, dann wird er gefährlich sein“, prophezeit Alex Hofmann.
Braucht Francesco Bagnaia noch mehr Zeit?
Francesco „Pecco“ Bagnaia ist der zweite Neuzugang im Ducati-Werksteam. Nach zwei durchwachsenen Jahren bei Pramac durfte Bagnaia Ducati-intern aufsteigen. Die Kritiker des Italieners behaupten, dass der Aufstieg zu zeitig kam, denn im Vorjahr wurde Bagnaia nur WM-16. und hat sich damit nicht zwingend empfohlen. Doch bei einigen Rennen blitzte das Talent des ehemaligen Moto2-Weltmeisters durch.
„‚Pecco‘ hat im vergangenen Jahr bereits gute Ansätze gezeigt“, bestätigt Alex Hofmann. „Aber es waren nur einzelne Events und danach kamen wieder Durststrecken. Sein Potenzial hatte er gezeigt. In Misano hatte er die Chance auf den Sieg. Leider warf er diese Chance weg. Es wäre der Wahnsinn gewesen. Doch bereits zuvor hatte er Pech, wenn es gut lief.“
„Ich glaube, er braucht noch ein halbes Jahr mehr, um in dieses Thema reinzuwachsen. Wenn es in Katar aber bereits mit einem Highlight losgeht, dann kann dieser Prozess beschleunigt werden. Dann könnte Jack Miller ziemlich schnell Druck in der eigenen Box bekommen“, vermutet Alex Hofmann. „Das Niveau von Jack hat er meiner Meinung nach fahrerisch, mental und auch physisch. Die zwei könnten sich schon gut ergänzen und antreiben.“
Wird Johann Zarco zur Ducati-Geheimwaffe?
Mit Johann Zarco hat Ducati einen weiteren Spitzenfahrer unter Vertrag. In diesem Jahr bekommt der Franzose aktuelles Material. Gelingt damit der erste Sieg? „Ich traue ihm alles und nichts zu, wie es in den vergangenen Jahren bei ihm der Fall war“, so Alex Hofmann.
„Er wird Wochenenden haben, an denen er um den Sieg oder um das Podium kämpfen kann. Bei diesen Rennen wird er super aggressiv dabei sein“, erwartet der ServusTV-Experte. „Er hat schon immer diesen Ansatz des leicht verrückten Künstlers gezeigt. Es kann auch mal ein Wochenende kommen, an dem es nicht so läuft.“
„Bei ihm gefährlich ist der Fakt, dass er sich seiner letzten großen Chance bewusst ist. Alle wissen, dass er ein guter Rennfahrer ist. Er ist Weltmeister und muss nichts beweisen. Er geht in dieses Jahr rein mit dem Wissen, dass es sein letzter Schuss ist in der MotoGP. Ich kann mir gut vorstellen, dass er diesen nutzen möchte“, kommentiert Alex Hofmann.
„Zarco könnte mit seiner Erfahrung und seiner harten Fahrweise der Geheimfavorit sein“, grübelt der langjährige TV-Experte. „Bei Ducati muss man aufpassen. Er wird es genießen, dass er nicht den Druck im Werksteam hat sondern nur den Druck, dass es seine letzte Chance ist. Wenn er diese nutzte, dann kann es weitergehen.“
Ducati-Rookies: Wer setzt sich durch?
Die restlichen drei Ducati-Piloten sind MotoGP-Neulinge. Bei Pramac pilotiert Jorge Martin das zweite Motorrad. Im Esponsorama-Team starten Moto2-Weltmeister Enea Bastianini und Vize-Weltmeister Luca Marini. Welcher der drei Rookies setzt sich am Ende des Jahres durch?
„Es sind drei riesige Talente. Das steht außer Frage“, kommentiert Alex Hofmann. „Sie sind alle zurecht in der MotoGP. Es sind aber unterschiedliche Typen. Man muss abwarten. Jorge Martin ist der Haudrauf-Racer, der aber schnell mal auf der Nase liegt und sich damit den Zahn zieht. Vom Typ her ist er eher wie Bastianini und will am liebsten schon in Katar die Welt auf links ziehen und überraschen. Das könnte klappen. Er könnte aber auch auf der Nase liegen, wenn es nicht aufgeht.“
„Luca Marini hat eine andere Herangehensweise. Er ist eher der Arbeiter, der sich langsam ans Limit arbeitet. Er ist der konstante Typ, der das Limit nicht über Stürze sucht sondern über sein Selbstvertrauen“, analysiert Alex Hofmann und verweist auf Mentor Valentino Rossi: „Mit dem Doktor im Hintergrund hat er einen sehr guten Coach, der ihm sagen wird, dass er in Katar nichts beweisen muss.“
„Ein MotoGP-Start mit Stürzen zieht einem Fahrer viel Selbstvertrauen heraus und gibt einen Schreckmoment mit. Das sollte man vermeiden“, erklärt Alex Hofmann. „Ich denke, dass diese drei Fahrer am Ende der Saison sehr nah beieinander liegen werden. Ich traue mich nicht, eine Prognose abzugeben, welcher Fahrer vorn liegen wird.“
„Auf dem Papier hat Luca Marini die schlechtesten Voraussetzungen, auch was die Technik angeht. Jorge Martin ist schon etwas näher an Ducati dran. Schlussendlich ist es schön, dass diese drei Fahrer jetzt in der MotoGP sind. Man muss ihnen aber Zeit geben“, betont der ServusTV-Experte. „Sie müssen lernen und jede Runde nutzen, auch im Nassen. Sie müssen ankommen und gesund bleiben. Das ist im ersten Jahr am wichtigsten.“
Text von Sebastian Fränzschky
Quelle, Infos, Hintergrundberichte: www.motorsport-total.com/
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