(Motorsport-Total.com) – Marc Marquez kehrte nach neunmonatiger Verletzungspause mit einem siebten Platz in Portugal in die MotoGP zurück.
Nun muss er daran arbeiten wieder seine Bestform zu finden, bevor er sich konkrete Ergebnisse zum Ziel setzen kann.
Simple Mathematik würde dafür sprechen, dass Marquez in einer Position ist, um den verlorenen Boden auf den WM-Führenden gutzumachen. Eine WM-Chance am Ende der Saison könnte theoretisch möglich sein.
Nach dem siebten Platz in Portimao kehrt Marquez als nächstes nach Jerez zurück, wo er sich im Vorjahr den rechten Oberarm gebrochen hat. In der WM-Wertung ist er 14. Auf Fabio Quartararo an der Spitze fehlen 52 WM-Punkte.
Den größten Rückstand, den Marquez in der MotoGP seit 2013 aufholen konnte, waren 37 Punkte. Dieses Defizit hatte er nach den ersten drei Rennen in der Saison 2017 auf Maverick Vinales. Am Ende lautete das WM-Duell Marquez gegen Andrea Dovizioso.
Damals hatte Marquez 16 Rennen Zeit, um den Rückstand aufzuholen. Das waren zwei weniger als im aktuellen Kalender (wenn trotz Corona alles planmäßig stattfinden kann). Theoretisch wäre in den kommenden Monaten eine Aufholjagd möglich.
Auf der anderen Seite hat der Honda-Star ganz klar festgehalten, dass er derzeit am wenigsten an den WM-Titel denkt. Der Fokus liegt darauf, wieder der Fahrer wie vor der Verletzung zu werden. Das wird nicht von heute auf morgen passieren, sondern Schritt für Schritt.
Sportpsychologe: Marquez muss sich viele kleine Ziele setzen
Um mehr Einblicke zu erhalten, hat die spanische Version von Motorsport.com bei Pep Font nachgefragt. Er arbeitet als Psychologe im Centre of High Performance in Sant Cugat (Barcelona). Font betreute schon viele Spitzenfahrer wie Jorge Lorenzo und Marc Coma.
„Wenn man sich ansieht, was Marc in seiner Karriere gezeigt hat, dann zählt er meiner Meinung nach zu jenen Leuten, die sich angemessene Ziele setzen“, meint Font. „Momentan wird er nicht daran denken, Rennen oder die WM zu gewinnen.“
„Seine unmittelbaren Ziele werden nicht so groß sein, aber nützlich für seine Situation. Ich glaube, er setzt sich ambitionierte, aber realistische Ziele. Das ist ein Schlüsselfaktor, denn er macht sich selbst den Druck, um diese Ziele zu erreichen. Er wird wissen, dass er damit umgehen kann.“
„Diese Dinge können Sachen auf dem Motorrad sein, wie zum Beispiel seine Sitzposition, seine Zeit in bestimmten Sektoren oder Vergleiche mit einem anderen Fahrer.“ Laut Font ist es wichtig, dass Marquez jedes einzelne kleine Ziel erreicht.
Emotionaler Ausbruch zeigt, wie schwer die Verletzung war
Das Erreichen dieser kleinen Ziele führt dann zum ganz großen Ziel. Wie hart die vergangenen neun Monate waren, zeigte der emotionale Ausbruch nach dem Rennen in der Box. Er ist eigentlich ein Fahrer, der laut eigenen Worten „nicht gerne solche Emotionen zeigt“, aber diesmal konnte er sie nicht verbergen.
„Als ich in die Box zu meinen Mechanikern kam, explodierte ich und konnte die Emotionen nicht kontrollieren“, sagte Marquez. „Seit langer Zeit habe ich davon geträumt, ein MotoGP-Rennen zu beenden. Das war der größte Schritt in meiner Rehabilitation, meiner Genesung.“
„Ich fühle mich wieder wie ein MotoGP-Fahrer. Das war mein Traum und ich habe es geschafft. Als ich zurück an die Box kam, war ich müde und erschöpft. Dann sind die Emotionen aus mir herausgeplatzt. Ich konnte sie nicht kontrollieren, aber es war sehr schön.“
Im Laufe des Wochenendes hatte Marquez mehrmals gesagt, dass es Zweifel gab, ob er überhaupt wieder Rennen fahren würde können. Schlimmer noch, er hatte die Befürchtung, dass er seinen rechten Arm nicht mehr ganz normal in seinem Leben benutzen würde können.
Sein Umfeld könnte unbewusst falschen Druck aufbauen
Und dieser innere Druck fiel genau in dem Moment ab, als die ganze Honda-Box Marquez nach dem Rennen Applaus spendete. Der erste Schritt beim Comeback ist geschafft. Nun steht Marquez vor einer ganz anderen Art von Druck.
„Der zerstörerische Druck wird vom Umfeld des Athleten aufgebaut – unbewusst“, sagt Sportpsychologe Font. „Das spitzt sich alles in einem Wort zu – es zu beweisen. Das Wort ‚beweisen‘ sorgt für Erwartungen.“
„Es ist aber wichtig zu bedenken, dass ein großer Teil von Erwartungen irrational sind. Natürlich könnte es passieren, dass Marc die Meisterschaft wieder dominiert. Aber er darf sich dazu nicht verpflichtet fühlen, weil man das nicht als garantiert annehmen kann.“
„Es könnte passieren, aber auch nicht. Die Leute um ihn herum, die ihm zu helfen versuchen, könnten im Endeffekt großen Druck auf seine Schultern aufladen. Man hat die besten Absichten und sagt Dinge wie: ‚Du wirst wieder der Fahrer wie früher‘, oder ‚Du wirst wieder gewinnen‘.“
„Mit solchen Sätzen werden extreme Erwartungen generiert, weil er solche Statistiken hat und so viel in der Vergangenheit erreicht hat. Marc kann damit umgehen, aber er muss sich dessen bewusst sein, dass es dieses negative Phänomen von Druck gibt“, sagt Font.
Marquez hat den ersten Schritt zurück auf seine eigene Art gemacht: mit Überzeugung. In Portimao ist er nie zuvor ein MotoGP-Bike gefahren. Er hatte im Vorfeld keinerlei Testfahrten und schwang sich das erste Mal seit 265 Tagen auf seine Honda.
Trotz all dieser Voraussetzungen hatte er im Ziel nur 13 Sekunden Rückstand auf Sieger Quartararo. Zudem war Marquez zehn Sekunden vor Vinales. In seiner letzten Runde fuhr Marquez seine persönlich schnellste. Es war die neuntschnellste Runde des Rennens.
Text von Oriol Puigdemont, Übersetzung: Gerald Dirnbeck
Quelle, Infos, Hintergrundberichte: www.motorsport-total.com/
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