Folgenschwere Kollisionen - © Motorsport Images

© Motorsport Images – 2023 kam es zu einigen folgenschweren Kollisionen, die auch bestraft wurden

(Motorsport-Total.com) – Als Vorsitzender des Stewards Panel der MotoGP stand Freddie Spencer auch in dieser Saison des Öfteren im Kreuzfeuer der Kritik.

Fahrer beschwerten sich wiederholt über inkonsistente Strafen und erklärten ihr Unverständnis darüber, warum bestimmte Vorgehen geahndet werden und andere nicht.

Im Gespräch mit GPOne.com nimmt Spencer, der sich sonst eher selten öffentlich erklärt, erstmals ausführlich Stellung. Dabei ist ihm wichtig zu betonen, wie komplex die Arbeit des Steward-Gremiums ist: „Es gibt viele Beteiligte, eine große Verantwortung.“

„Die Art und Weise, Entscheidungen zu treffen, hat sich zusammen mit der Technologie, die wir heute haben, und auch der Art und Weise, wie wir Unfälle bewerten, weiterentwickelt.“

In dem Zusammenhang spricht Spencer die Massenkarambolage im Spielberg-Sprint an, bei der eine Berührung zwischen Jorge Martin und Fabio Quartararo eine fatale Kettenreaktion ausgelöst hatte. Die Rennkommissare untersuchten den Zwischenfall. Das Urteil fiel aber erst Stunden nach dem Rennen.

Martin wurde als Verursacher identifiziert und für das nächste Rennen mit einer Long-Lap-Penalty belegt. Für eine weitere Kollision, bei dem Luca Marini stürzte, blieb er unbestraft.

Spencer erklärt: „Viele Leute haben den Vorfall gesehen und dachten einfach, dass einige Fahrer andere Fahrer aus dem Rennen nehmen. Aber was man im Auge behalten muss, ist die Absicht des Fahrers, die Ursachen und die Wirkung eines Ereignisses.“

Spencer: Viele Hilfsmittel erleichtern die Arbeit
„Es gibt so viele Variablen, die dazu beitragen und die von denen, die von außen beobachten, oft nicht verstanden werden. Wir versuchen immer, uns zu verbessern, und glücklicherweise werden unsere Hilfsmittel jedes Jahr besser. Jetzt haben wir 70 Kameras auf der Strecke, nicht nur vier“, betont der 61-Jährige.

„Ich würde sagen, dass es viele Verbesserungen gegeben hat. Selbst bei Situationen wie in der Moto3, wo die Fahrer langsam fahren, um auf andere zu warten. Mit all diesen Kameras machen wir einen besseren Job. Es erlaubt uns, die Entscheidungen zu treffen, die uns in diesem Moment am besten erscheinen.“

Viele Kritiker wenden ein, dass Spencer selbst zu seinen aktiven Zeiten mit ganz anderen Motorrädern gefahren sei und viele Rennsituationen von heute deshalb gar nicht richtig beurteilen könne. Das will der Amerikaner so aber nicht stehen lassen.

„Nein, das ist aus meiner Sicht nicht der Fall. Das Motorrad ist im Grunde dasselbe“, sagt er. „Eines der Dinge, über die immer gesprochen wird, sind die Kontakte auf der Strecke. Wir haben begonnen, dieses Problem ganz anders anzugehen als im Vorjahr. In der Sicherheitskommission wird oft darüber gesprochen.

So etwa in Le Mans. Zuvor war es in Barcelona zu einem Kontakt zwischen Francesco Bagnaia und Jack Miller gekommen. Bagnaia musste seine Position damals wieder abgeben, was aus seiner Sicht falsch war, da es sich um einen normalen Zwischenfall handelte.

Spencer hörte sich die Sicht der Fahrer daraufhin an. „Und da haben wir beschlossen, die Position zu ändern.“ Für Berührungen sollte sich der schuldige Fahrer künftig einen Platz zurückfallen lassen und bei Sturz wurde eine Long-Lap-Penalty fällig.

Die Hauptverantwortung liegt bei den Fahrern
„Ich will nicht um den heißen Brei herumreden, die Rennen sind heute sehr hart umkämpft und alle sind sehr eng beieinander, weil die Motorräder alle sehr schnell sind. Deshalb müssen wir anders agieren, Grenzen setzen“, erklärt Spencer den Ansatz.

„Die Fahrer sprechen sehr oft darüber und wir haben ihnen zu verstehen gegeben, auch nach Bagnaias Worten in der Sicherheitskommission, dass ein Großteil der Verantwortung für das, was passiert, bei ihnen selbst liegt. Die Stewards sind für die Analyse von Situationen zuständig, aber es geht um die Sicherheit.“

„Wenn es um sicherheitsrelevante Vorfälle geht, sind wir da, wir wollen eingreifen. Aber es sind Fahrer, es sind Rennen. Diese Jungs sind die Besten in dem, was sie tun.“

„Sicher gibt es Leute, die sagen, dass die heutige Leistung der Motorräder die Sicherheit beeinträchtigt. Aber ich glaube nicht, dass es am Ende wirklich so ist. Für mich ist das nicht der entscheidende Punkt. Ich bin früher Flat Track gefahren, und heute ist die MotoGP ein bisschen so – alle sind sehr eng zusammen.“

In dem Zusammenhang räumt Spencer ein: „Ich verstehe oft die Frustration der Fahrer über bestimmte Dinge, weil ich selbst einmal Fahrer war. Aber es gibt Regeln, und wie wir dafür sorgen, dass sie durchgesetzt werden, dient nur dazu, dass sie ihren Job am besten machen können, nämlich schnell auf dem Motorrad zu sein.“

„Wir müssen also zusammenarbeiten und dürfen nicht getrennt voneinander denken. Die heutigen Rennen sind großartig, aber es ist klar, dass sie verstehen müssen, dass es heute nicht akzeptabel ist, Manöver zu fahren, die gefährlich werden können.“

Spencer: Enges Feld verlangt bewusstes Fahren
„Es gibt Long Laps, es werden Positionen zurückgetauscht. All das sollte aber kein Effekt sein, sondern ein Grund, sich nicht in bestimmte Situationen zu begeben“, sagt der leitende Rennkommissar. „Dabei liegt die Verantwortung für das, was auf der Strecke passiert, immer in den Händen des Fahrers.“

„Auch ich bin mit hart umkämpften Dirt-Track-Rennen aufgewachsen. Diese Rennen erfordern, dass man viel aufmerksamer auf die Menschen um einen herum achtet und sich der Situationen, in die man geraten kann, sehr bewusst ist. Da ist Gewissen gefragt.“

So pragmatisch das alles klingen mag, weiß Spencer natürlich auch, dass die MotoGP ein Sport voller Emotionen ist. „Auch hinter diesem Job stecken so viele Emotionen“, betont er. „Unsere Arbeit ist wichtig, wie die aller anderen Beteiligten hier.“

„Gleichzeitig ist es ein Job, und in meinem Fall geht es darum, jede Situation im Detail zu betrachten, sie zu analysieren, die Absicht eines Fahrers zu verstehen, die Auswirkungen eines Manövers auf das Rennen. Und dieser Aspekt kann nicht auf Gefühlen oder Emotionen bei der Beurteilung basieren.“

„Es gibt Protokolle, die anzuwenden sind, und was wir im Laufe der Jahre getan haben, diente genau dazu, diese Protokolle zu erstellen. Eine meiner Absichten mit diesem Interview ist auch, die Arbeit, die wir geleistet haben, zu erläutern und zu zeigen, wie sehr das ganze Arbeitssystem über die Jahre gewachsen ist.“

Text von Juliane ZiegengeisT

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