(Motorsport-Total.com) – Es ist zweifellos der prominenteste und einer der spektakulärsten Fahrerwechsel seit Jahren in der MotoGP-Klasse: Dass Marc Marquez, der sechsmalige Weltmeister der Königsklasse, seinen langjährigen Arbeitgeber Honda nach elf Jahren verlässt, um sich für die MotoGP-Saison 2024 dem Ducati-Kundenteam Gresini anzuschließen, das ruft im Fahrerlager unterschiedliche Reaktionen hervor.
Von Vorfreude über Unglaube, Überraschung und Respekt bis hin zu Traurigkeit ist alles dabei, was sowohl aktuelle als auch ehemalige MotoGP-Piloten zum Markenwechsel des aktuellen Superstars der Szene zu sagen haben.
Zwei, die wie Marc Marquez mit Honda Weltmeister in der Königsklasse geworden sind, nämlich Casey Stoner und Mick Doohan, können die Beweggründe des Spaniers nachvollziehen. Andere – sowohl im Lager von Ducati als auch im Lager von Honda – zeigen sich überrascht, denn sie hätten mit dem seit wenigen Wochen feststehenden Wechsel nicht gerechnet.
Wieder andere zollen Marquez Respekt dafür, dass er den nicht nur größten Motorradhersteller Japans, sondern auch größten der Welt verlässt, um für ein privates Ducati-Team aus Italien zu fahren. Und dann gibt es noch Stimmen, die es bedauern, dass eine weitere der als untrennbar geglaubten MotoGP-Paarungen jetzt doch auseinandergeht.
Casey Stoner von Marquez‘ Honda-Abschied „nicht schockiert“
Casey Stoner, der einst im Winter 2010/11 den Wechsel in die andere Richtung vollzog als Marc Marquez jetzt, sprich von Ducati zu Honda, sagt gegenüber MotoGP.com über Marquez‘ Wechsel: „Ich bin ganz sicher nicht überrascht und auch nicht schockiert.“
„Wenn du wie er, mehrere schwierige Jahre durchmachen musst, noch dazu nach Verletzung, dann ist das einfach zäh. Du hast dann einfach Zweifel, ob es an dir oder deinem Fahrstil liegt oder aber am Hersteller oder Motorrad“, so Stoner.
„Er weiß natürlich mehr als wir darüber, wie groß die Anstrengungen sind, die Honda bereit ist zu unternehmen, um die Probleme zu lösen“, sagt Stoner über Marquez und weiß: „Wenn das im nächsten Jahr nicht passiert, dann willst du einfach nicht noch ein weiteres Jahr deiner Karriere vergeuden. Er hat ja genau das mit seinen Verletzungen schon zur Genüge getan. Jetzt will er zurück an die Spitze und wieder um Siege kämpfen.“
Auch Stoner selbst hatte einst eine schwächere Phase seiner Kariere zu überstehen. Nachdem er seinen ersten MotoGP-Titel (2007) auf Ducati errungen hatte, blieb er dem Hersteller noch drei weitere Jahre lang treu, kämpfte aber vor allem in der Saison 2009 mit körperlichen Problemen, die ihn mehrere Rennen auslassen sahen.
Ende 2010 entschied sich Stoner zum Abschied von Ducati und zum Wechsel zu Honda. Dort wurde der Australier in der Saison 2011 auf Anhieb wieder Weltmeister. Was Ducati betrifft, blieb Stoner sage und schreibe 15 Jahre lang der einzige MotoGP-Weltmeister. Erst Francesco Bagnaia ließ in der Saison 2022 einen zweiten MotoGP-Fahrertitel für Ducati folgen.
Mick Doohan: „Er hatte eigentlich keine Wahl“
Mick Doohan, der jeden seiner fünf WM-Titel in der Königsklasse der Motorrad-WM (damals 500er-Klasse) auf Honda errang, kann Marquez Beweggründe, genau wie Stoner, ebenfalls verstehen.
„Er hatte eigentlich keine Wahl. Zum einen waren die Ergebnisse nicht da. Zum anderen war da der Frust über das Entwicklungstempo“, sagt Doohan gegenüber MotoGP.com und spricht mit „Ergebnissen, die nicht da waren“, natürlich die letzten, nicht die ersten, Jahre in Marquez‘ Honda-Zeit an.
„Ich kann mir vorstellen, dass es im Hauptquartier von Honda eine gewisse Enttäuschung und auch Überraschung gab. Schließlich hatte er ja einen Vertrag“, spielt Doohan auf Marquez‘ letzten Honda-Vertrag an. Der wurde im Jahr 2020 über vier weitere Jahre geschlossen und wäre erst Ende 2024 ausgelaufen. Dass es nicht so kommt, sondern dass das letzte Vertragsjahr inzwischen gestrichen wurde, das ist bekannt.
„Sofern es [bei Ducati] zwischen dem 2023er- und dem 2024er-Motorrad keinen großen Sprung gibt, dann wird er konkurrenzfähig sein, keine Frage“, sagt Doohan über Marquez‘ unmittelbare Zukunft und stellt heraus: „Für mich ist er immer noch der talentierteste Fahrer im Feld. Er hatte nur zuletzt einfach nicht das Motorrad, um sein Talent zeigen zu können.“
Bagnaia & Martin freuen sich auf Datenaustausch mit Marquez
„Für uns und für den Sport ist das gut“, sagt der amtierende MotoGP-Weltmeister Francesco Bagnaia über Marc Marquez‘ Wechsel von Honda auf Ducati und fügt hinzu: „Marc wird auf unserem Motorrad natürlich eine gute Basis, um nicht zu sagen die beste Basis vorfinden.“
Ein anderer Ducati-Fahrer – Fabio Di Giannantonio – ist derjenige, der seinen Platz für den sechsmaligen MotoGP-Weltmeister räumen muss. „Vor drei, vier Monaten war das noch undenkbar, aber dann wurde es doch immer klarer, dass es in diese Richtung geht“, meint „Pecco“ Bagnaia und grinst: „Ich habe schon in der Pressekonferenz nach dem Rennen in Japan gesagt, dass es meiner Meinung nach so kommen wird.“
Tatsächlich verkündet wurde Marquez‘ feststehender Abschied von Honda erst drei Tage später am 4. Oktober, dem Mittwoch nach dem Japan-Grand-Prix. Acht weitere Tage später, am 12. Oktober, wurde dann Marquez‘ Verpflichtung für ein Jahr seitens Gresini-Ducati bestätigt.
Dazu sagt Ducati-Werkspilot Bagnaia: „Es wird natürlich spannend, Daten mit ihm auszutauschen. Es wird interessant zu sehen, wie er arbeitet. Aber es wird natürlich auch für ihn ein spannender Wettbewerb in unserer Gruppe mit acht [Ducati-]Fahrern.“
Pramac-Ducati-Pilot Jorge Martin sagt in Bezug auf Marquez‘ Umstieg von einer Honda auf eine Ducati: „Ein Wechsel der Motorradmarke ist natürlich nie einfach, schon gar nicht nach so vielen Jahren. Weil unser Motorrad aber wirklich großartig ist, bin ich überzeugt, dass er sich schnell darauf wird einstellen können.“
„Und für uns [andere Ducati-Fahrer] ist es natürlich toll, weil es die einzige Möglichkeit ist, wie wir uns direkt mit Marc, einem der Besten aller Zeiten, vergleichen können. Ich jedenfalls freue mich darauf“, so Martin.
Marini glaubte an „Scherz“ – Rins hatte sich getäuscht
Ein anderer Ducati-Fahrer, nämlich Luca Marini, zeigt sich durchaus überrascht, dass im kommenden Jahr auch Marc Marquez eines der Motorräder aus Bologna pilotiert. „Ich dachte zuerst, das wäre ein Scherz. Ich konnte es mir einfach nicht vorstellen“, gibt der Halbbruder von Valentino Rossi, der für dessen VR46-Team fährt, offen zu. „Aber okay, wenn es für Marc und für Honda so das Beste ist, dann ist es so. Dann ist es gut“, so Marini.
Aber nicht nur im Ducati-Lager, auch im Honda-Lager gibt es einen, der von Marquez‘ Abschied überrascht ist, nämlich Alex Rins. „Ja, ich bin überrascht“, gesteht der LCR-Honda-Pilot, der noch im September glaubte, dass Marquez bei Honda bleiben wird.
Heute sagt Rins: „Dass er ein Jahr vor Auslaufen seines Vertrags geht, das kommt für mich wirklich überraschend. Aber wir müssen seine Entscheidung respektieren und ich hoffe natürlich, dass Marc zurückfindet auf die Siegerstraße. Er ist ein sehr schneller Fahrer. Wenn er seine Entscheidung so trifft, dann wohl deshalb, weil er nicht glaubt, mit der Honda auf die Siegerstraße zurückkehren zu können.“
Rins selber hat für das Saisonende 2023 seinerseits seinen Abschied aus dem Honda-Lager verkündet. Der aktuell noch bei LCR unter Vertrag stehende Spanier tritt in der MotoGP-Saison 2024 als Teamkollege von Fabio Quartararo für das Yamaha-Werksteam an.
Quartararo & Vinales erwarten starken Marc Marquez 2024
Apropos Fabio Quartararo. Was sagt der MotoGP-Weltmeister von 2021 zu Marc Marquez‘ Umstieg von Honda auf Ducati? „Ich kann Marc verstehen. Er fährt jetzt elf Jahre lang MotoGP. Bis 2019 hat er, mit Ausnahme von 2015, alles gewonnen.“
„Jetzt“, so Quartararo weiter, „hat er den WM-Titel für eine Zeit lang, die für seine Verhältnisse sehr lang ist, nicht gewonnen. Aufgrund seiner Verletzung hat er eine schwierige Zeit durchgemacht. Da kann ich verstehen, dass er jetzt wieder ein Siegermotorrad haben will“.
„Marc ist einfach die Referenz der vergangenen zehn Jahre“, sagt Quartararo. „Dass er nächstes Jahr auf einem richtig konkurrenzfähigen Motorrad sitzt, das wird uns allen das Leben richtig schwer machen.“
Ganz ähnlich wie Yamaha-Pilot Quartararo sieht es auch Aprilia-Pilot Maverick Vinales, der sagt: „Ich sehe für nächstes Jahr eine weitere richtig starke Ducati. Aber so ist das halt [für alle anderen]. Einfach ist in diesem Sport ohnehin nichts.“
Und zum Umstand, dass Marquez von Honda weggeht, obwohl er eigentlich Vertrag bis Ende 2024 hatte, wirft Vinales ein: „Sie müssen sich irgendwie geeinigt haben. Denn anderenfalls würde das Ganze ja vor Gericht gehen. Und das wäre ein Problem.“
Jack Miller & Aleix Espargaro zollen Marquez Respekt
Vinales‘ Aprilia-Teamkollege Aleix Espargaro sagt über Marc Marquez: „Ich freue mich für ihn. Deine Zukunft festzulegen, das ist etwas, was du mit deinen engsten Vertrauten und mit dir selber im Kopf ausmachen musst. Ich bin mir sicher, dass er alles analysiert hat und er die für ihn zu diesem Zeitpunkt bestmögliche Entscheidung getroffen hat.“
„Den größten Motorradhersteller der Welt zu verlassen, um zu einem Privatteam zu wechseln, das ist sicherlich nicht einfach. Aber ich wünsche ihm alles Gute und bin sicher, dass er nächstes Jahr für eine tolle Show sorgen wird“, so Aleix Espargaro.
Ähnlich sieht es auch Jack Miller. Der KTM-Pilot sagt zu Marquez‘ Wechsel: „Das ist ein starker Move. Dass er aus einem gut dotierten Vertrag aussteigt, um bessere Ergebnisse einzufahren, das respektiere ich sehr. Ich hoffe sehr, dass er damit Erfolg haben wird. Leicht gefallen ist ihm die Entscheidung ganz sicher nicht. Ich bin sicher, dass er viel darüber nachgedacht hat.“
Wenn starke Paarungen auseinandergehen …
Und Miller spricht noch einen anderen Punkt an: „Es ist immer schade, wenn solche starken Paarungen wie [Valentino] Rossi und Yamaha, [Jorge] Lorenzo und Yamaha oder auch Dani [Pedrosa] und Honda, und jetzt sogar Marc und Honda auseinandergehen. Gleichzeitig wird es spannend zu sehen, was er in Zukunft wird erreichen können. Ich wünsche ihm alles Gute.“
Auch Franco Morbidelli sagt über Marquez‘ Honda-Abschied: „Dass ein Fahrer, der mit diesem Hersteller und dieser Marke so eng verbunden war, weggeht, das ist eine Riesensache. So etwas hat es aber auch in der Vergangenheit schon gegeben, auch in anderen Sportarten. In seinem Fall sah es so aus, als würde das nie passieren, vor allem, weil seine letzte Vertragsverlängerung gleich vier Jahre umfasste. Und trotzdem ist es jetzt passiert.“
Takaaki Nakagami, der seit 2018 für das Honda-Satellitenteam LCR fährt, das auch 2024 tun wird und aufgrund von Marc Marquez‘ Honda-Abschied dann derjenige Fahrer sein wird, der aktuell am längsten auf einer RC213V sitzt, hält sich kurz. Er sagt: „Für die Honda-Familie ist es natürlich traurig. Aber er hat die Entscheidung selber so getroffen. Mehr kann ich dazu nicht sagen.“
Genau wie Nakagami, so bleibt auch Marquez‘ diesjähriger Teamkollege Joan Mir für 2024 dem japanischen Hersteller treu. Der im Winter 2022/23 von Suzuki zu Honda gekommene MotoGP-Weltmeister von 2020 sagt über Marquez: „Ich bin nicht überrascht. Unsere Situation [bei Honda] ist momentan wirklich nicht einfach. Ich wünsche ihm einfach alles Gute für die Zukunft.“
Alex Hofmann: Marquez‘ Wechsel „längst überfällig“
Für den ehemaligen MotoGP-Piloten und heutigen ServusTV-Experten Alex Hofmann war der Schritt, auf den sich Marc Marquez festgelegt hat, „längst überfällig“. Warum? „Marc hatte ja schon mehrfach angedeutet, dass er aufgrund seines Alters keine Zeit hat zu warten und dass noch an der Spitze mitfahren will. Und das wird er auch“, ist Hofmann überzeugt.
Auch der aktuelle MotoGP-Weltmeister „Pecco“ Bagnaia ist überzeugt, dass Marc Marquez auf der Ducati „nicht lange brauchen wird, um sich auf unserem Motorrad wohlzufühlen. Es wird auch nicht lange dauern, bis er sich besser fühlt und er schneller ist als in seiner momentanen Situation“.
Und in Anspielung auf den Valencia-Test am 28. November, für den Marquez seitens Honda die Freigabe für sein Ducati-Debüt bekommen hat, sagt Bagnaia noch: „Ich bin mir sicher, dass Marc diesen Test als der Schnellste abschließen wird. Unser Motorrad ist nun mal sehr gut, wenn es darum geht, wie rasch man sich darauf einstellen kann. Es ist ein sehr vorhersehbares Motorrad, das noch dazu sehr schnell ist.“
Text von Mario Fritzsche, Co-Autor: Xaveria Yunita
Quelle, Infos, Hintergrundberichte: www.motorsport-total.com/
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