Bei der Präsentation der RCV1000R im November 2013 verkündete Honda stolz, ein konkurrenzfähiges Motorrad zu einem vernünftigen Preis anzubieten und damit einen nachhaltigen Beitrag für die Zukunft der MotoGP zu leisten.
Um einen der neuen Production-Racer zu erwerben, mussten interessierte Teamchefs 1,2 Millionen Euro an HRC überweisen. Sogar Ausnahmekönner Casey Stoner war bei der Entwicklung der RCV1000R beteiligt und schien von der Performance überzeugt zu sein. Laut Honda sollte die Kunden-Maschine nur marginal langsamer sein als der wesentlich teurere Prototyp RC213V.
Die technischen Unterschiede zwischen der RC213V und der RCV1000R sind überschaubar: Der Motor setzt nicht auf die pneumatischen Ventile und arbeitet stattdessen mit konventionellen Ventilfedern. Zudem müssen die RCV1000R-Piloten auf das komplexe Seamless-Getriebe verzichten und die Gänge mit einem Standardgetriebe sortieren. Chassis und Verkleidung entsprechen der 2013er-Werks-Spezifikation. Die Federelemente kommen von Öhlins, sind aber aus einer günstigeren Serie. Gebremst wird mit Nissin-Bremsen, wie sie auch an der RC213V von Alvaro Bautista montiert sind.
Offen war, wie sich diese Unterschiede bei den Rundenzeiten auswirken. Bei der Präsentation in Valencia war von drei Zehntelsekunden pro Runde die Rede. Doch die Wirklichkeit sah beim ersten Sepang-Test anders aus. Aspar-Pilot Nicky Hayden war als bester der RCV1000R-Piloten etwa zwei Sekunden langsamer als Markenkollege Marc Marquez. Der US-Amerikaner, der nach fünf durchwachsenen Jahren bei Ducati voller Hoffnung zu Jorge Martinez wechselte, wirkte nach den drei Testtagen völlig demoralisiert.
Hayden kann Enttäuschung nicht verbergen
„Ich erwartete nicht, soweit zurückzuliegen. Es war demoralisierend, als ich den Prototypen folgte. Das war wie eine andere Kategorie. Das erwartete ich nicht“, erklärte Hayden in Malaysia. HRC-Vize Shuhei Nakamoto suchte beim ersten Test nach Erklärungen und machte die fehlende Erfahrung der RCV1000R-Piloten verantwortlich. „Die Honda ist kein einfach zu fahrendes Motorrad. Normalerweise benötigt ein Fahrer etwa ein Jahr, um schnell zu sein. Marc war eine Ausnahme. Mit der Yamaha kommt ein Fahrer in der Regel schneller zurecht.“
Doch Hayden war jahrelang Honda-Pilot und wurde mit der RC211V in der Saison 2006 Weltmeister. „Ja, aber er ist an ein komplett anderes Motorrad gewöhnt“, konterte Nakamoto und verwies auf die Ducati-Jahre. Bei Hayden kamen die Aussagen des Japaners nicht besonders gut an. „Ich bin noch die Ducati gewöhnt. Doch ich benötige kein Jahr, um zu lernen, wie ich auf den Geraden das Gas betätigen muss. Wir benötigen Unterstützung“, schimpfte der US-Amerikaner.
Yamaha verfolgte beim eigenen Kunden-Programm von Anfang an einen anderen Weg. Rennleiter Lin Jarvis stellte bereits im Frühjahr 2013 klar, dass man Motoren verleast, die dann aber auch mindestens der Spezifikation entsprechen, die auch das Satelliten-Team verwendet. Forward-Pilot Aleix Espargaro demonstrierte mit seiner FTR-Yamaha, wie konkurrenzfähig das Paket ist. Der Spanier fuhr am finalen Testtag eine 1:59er-Zeit und lag auf Position vier – noch vor Honda-Werkspilot Dani Pedrosa.
Nakamoto kritisiert Yamahas Philosophie
Was sagt Honda zu Espargaros Vorstellung? „Sehr gut. Man könnte denken, es ist eine Werksmaschine. (lacht; Anm. d. Red.)“, scherzt Nakamoto. „Es scheint, als ob die Open-Maschine von Yamaha die Werksmaschine aus dem Vorjahr ist. So scheint es zu sein. Ich weiß es aber nicht. Sie verfolgen einen anderen Ansatz“, vergleicht der HRC-Vize, der infragestellt, ob das Open-Projekt von Yamaha der eigentlichen Philosophie der neu geschaffenen Regel entspricht.
„Wir bieten für 1,2 Millionen Euro ein komplettes Motorrad an. Um den Preis zu realisieren, mussten wir auf konventionelle Ventilfedern und auf das konventionelle Getriebe setzen. Auch bei den Federelementen gibt einen Unterschied. Die Kundenmaschine setzt zwar auch auf Öhlins, hat aber eine andere Spezifikation als die Werksmaschine. Doch die wichtigsten Teile, wie das Chassis, die Schwinge oder auch die Verkleidung, sind identisch mit der Werksmaschine“, hält Nakamoto fest. „Wenn Honda eine Kundenmaschine anbietet, dann sollte diese zum Kauf angeboten werden.“
Der Verzicht der pneumatischen Ventile hatte offensichtlich größere Auswirkungen als erwartet. Selbst die Kawasaki-Motoren des Avintia-Teams setzen auf pneumatische Ventile. Mit konventionellen Ventilfedern fährt man in der MotoGP seit vielen Jahren hinterher – diese Erkenntnis sollte Honda nach dem missglückten Debüt der RC212V in der Saison 2007 eigentlich verinnerlicht haben, als man viel zu konservativ an das neue 800er-Format herantrat und von Ducati und Yamaha überrannt wurde.
Honda sucht nach Verbesserungen
„Wir hören nicht mit der Entwicklung auf. Das trifft auch in diesem Fall zu“, beruhigt Nakamoto, der nach wie vor überzeugt ist, dass die fehlende Leistung des RCV1000R-Triebwerks nicht der alleinige Grund für die schlechten Rundenzeiten ist: „Wir haben die Daten ausgewertet. Bei der Beschleunigung gibt es keine allzu großen Unterschiede. Bei der Werksmaschine wird der Vortrieb durch den Reifen limitiert. Sicher hat die Werksmaschine mehr Spitzenleistung. Doch im unteren Drehzahlbereich sind die Unterschiede sehr gering.“
Hayden sieht das anders: „Wenn in einigen Kurven die Drehzahl sinkt, haben wir ein Leistungsloch. Aus den langsamen Kurven heraus und auf den Geraden leiden wir“, schildert der Aspar-Pilot. Dass die RCV1000R auf den Geraden Federn lässt, kann Nakamoto nicht dementieren: „Sicher gibt es in den höheren Gängen Unterschiede. Auf den beiden Geraden verlieren die Kundenmaschinen etwa 0,3 Sekunden. Der Motor ist nicht für Rückstände von zwei oder drei Sekunden verantwortlich.“
„Der Unterschied auf eine Runde sollte weniger als eine Sekunde betragen“, hält Nakamoto fest und korrigiert damit den ursprünglichen Unterschied von drei Zehntelsekunden deutlich nach oben. Um das Bremsverhalten der Kunden-Maschine zu verbessern, wurde Testfahrer Kosuke Akiyoshi mit den Brembo-Bremsen der Werks-RC213V auf die Strecke geschickt. Ob die Kunden-Bikes ein Upgrade auf die italienischen Stopper erhalten, ist aber noch ungewiss.
Auch wenn Honda für die Performance der RCV1000R viel Kritik einstecken musste, darf man nicht vergessen, dass Aleix Espargaro der einzige Open-Pilot war, der munter an der Spitze mitmischte. Teamkollege Colin Edwards fuhr mit seiner FTR-Yamaha auf dem Nivea der besten Kunden-Hondas. Diese Tatsache bekräftigt HRC-Teamchef Livio Suppos Sicht der Dinge, der Espargaro lobt: „Sie haben auch einen sehr guten Fahrer. Aleix leistet fantastische Arbeit“, so der Italiener.
Text von Sebastian Fränzschky
Quelle, Infos, Hintergrundberichte: www.motorsport-total.com/
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