(Motorsport-Total.com) – Nach seinen schweren Verletzungen bei der Saisonvorbereitung befindet sich Jorge Martin auf dem Weg der Besserung.
Der amtierende MotoGP-Weltmeister spricht im Interview mit Motorsport.com Spanien, einer Schwesterplattform von Motorsport-Totalcom im Motorsport Network, offen über die körperlichen und mentalen Herausforderungen der vergangenen Wochen.
Entscheidend war für ihn der Umgang mit diesen Rückschlägen und die Rolle seiner mentalen Vorbereitung. Trotz der Zwangspause verfolgt der Spanier die Entwicklung seiner Aprilia intensiv – mit einem klaren Ziel vor Augen: ein baldiges Comeback beim Grand Prix von Katar.
Frage: „Jorge, gibt es etwas Grausameres, als Weltmeister zu sein und es nicht auf der Strecke zeigen zu können?“
Jorge Martin: „Ich denke, es gibt unendlich viele schlimmere Dinge. Natürlich ist das, was ich derzeit durchmache, ein Albtraum. Aber die Tatsache, dass ich bereits Weltmeister geworden bin, lässt mich das Ganze mit anderen Augen sehen. Es ist eine schwierige Phase, die ich überwinden muss – aber es hätte immer schlimmer kommen können. Ich bin nach Austin gereist, weil ich mich motiviert fühlte. Hätte ich mir das zwei Wochen früher überlegt, hätte ich weder die Kraft noch die Lust dazu gehabt.“
Frage: „Ist das der schwerste Sturz, mit dem Sie bisher umgehen mussten?“
Martin: „Wahrscheinlich ja. Der in Portimao 2023 ist mir noch sehr präsent, aber dieser hier war noch heftiger, wirklich schlimm. Vor allem, weil er komplizierte Brüche zur Folge hatte – das war das Ärgerlichste. Drei Brüche an der Hand, vier am Fuß und etwas an der Rippe, das wir noch nicht genau diagnostizieren konnten.“
Frage: „Gab es etwas, das Ihnen geholfen hat, Frust und Angst zu bewältigen?“
Martin: „Nichts Konkretes. Am Ende ist man auf sich allein gestellt – und auf die Zeit. Die Zeit hilft bei der Heilung, und jeden Tag macht man Fortschritte.“
Arbeit mit Psychologen im Vorjahr hilft auch jetzt
Frage: „Im vergangenen Jahr, auf dem Weg zum Titel, haben Sie offen über mentale Vorbereitung und die Arbeit mit Ihrem Psychologen gesprochen. Welche Rolle spielte das in dieser Phase?
Martin: „Es hat mir geholfen. Ohne all die mentale Arbeit, die ich geleistet habe, wäre diese Verletzung noch viel schwieriger gewesen. Aber ich weiß auch nicht, inwiefern sie mich konkret verändert hat – denn diese Arbeit ist abgeschlossen. Ich trage sie in mir, und dank ihr kann ich meine Emotionen viel besser managen.“
Frage: „Gab es einen Ratschlag oder ein Gespräch, das Ihnen besonders geholfen hat?“
Martin: „Marc [Marquez] und andere Fahrer wie ‚Pecco‘ [Bagnaia] haben mir geraten, mir Zeit zu nehmen und nichts zu überstürzen. Das ist der beste Rat. Gerade bei Marc hat das, was er zu solchen Themen sagt, großes Gewicht, weil er selbst lange verletzt war. Und er sagte das mit Überzeugung. Es ist schön zu sehen, wenn sich Rivalen für einen interessieren – das zeigt auch, dass sie dich auf der Strecke sehen wollen, um sich mit dir um die wichtigen Dinge zu duellieren. Wenn man sieht, dass ein Kollege leidet, entwickelt man große Empathie.“
Frage: „In einem Ihrer ersten Auftritte nach Supermoto-Unfall auf der Kartstrecke sagten Sie auf Ihrem YouTube-Kanal, dass Sie aus allem, was Ihnen passiert, etwas lernen. Was haben Sie dieses Mal mitgenommen?“
Martin: „Zunächst einmal: Dieser Sturz wird mir kein zweites Mal passieren. Ich werde zu dieser Strecke zurückkehren, weil ich mich dem stellen möchte. Aber ich weiß, was ich falsch gemacht habe, und werde es nicht wiederholen. Und solche Erfahrungen bringen einem auch mental etwas bei, weil sie einem zeigen, dass alles vorübergeht – und dass man früher oder später wieder Licht sieht.“
Welche Ziele er sich für sein Comeback setzt
Frage: „Wie und wann glauben Sie, wieder Rennen fahren zu können?“
Martin: „Ich hoffe auf ein Comeback in Katar. Aber es ist auch klar: Wenn ich zurückkehre, werde ich nicht bei 100 Prozent sein. In meiner aktuellen Situation, mit einem neuen Motorrad, geht es vor allem darum, Kilometer zu sammeln. Das Wichtigste ist, dass meine körperliche Verfassung es mir erlaubt, wieder zu fahren.“
Frage: „Welche Strategie werden Sie verfolgen?“
Martin: „Ich muss das Ziel ganz genau definieren. Ich bin ein Mensch, der von Zielen getrieben ist. Ich muss genau wissen, was mein Ziel für Katar ist. Die ersten Rennen werde ich ruhiger angehen, bis ich mich wieder wohlfühle. Ich muss gemeinsam mit Aprilia wachsen.“
Frage: „Wie weit sind Sie in Ihrer Eingewöhnung an die Aprilia?“
Martin: „Mein Anpassungsstand ist natürlich ein anderer, als er ohne die Verletzung wäre. Aber ich glaube auch, dass die Entwicklung ähnlich verlaufen wäre – denn alles, was an Material kam und von Bezzecchi getestet wurde, hat funktioniert. Deshalb wurde es übernommen. Jetzt ist es an der Zeit, die Sache mit Begeisterung anzugehen, aber ohne den Druck, gewinnen zu müssen.“
Frage: „Haben Sie die Entwicklung des Motorrads genau verfolgt?“
Martin: „Ja, sehr genau. Ich spreche oft mit Massimo [Rivola, CEO] und Fabiano [Sterlacchini, Technischer Direktor], und auch wenn ich nicht physisch an der Strecke bin, habe ich das Gefühl, Teil des Geschehens zu sein. Ich versuche, meinen Beitrag zu leisten – und das Potenzial der RS-GP ist wirklich gut. Ich glaube, Aprilia hat den nächsten Schritt gemacht. Jetzt wird sich zeigen, wie weit ich mit meinem Stil und meiner Herangehensweise wieder vorne mitkämpfen kann.“
Text von Oriol Puigdemont, Übersetzung: Gerald Dirnbeck
Quelle, Infos, Hintergrundberichte: www.motorsport-total.com/
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