Im Duell um den MotoGP-Titel 2024 hat sich Jorge Martin gegen Francesco Bagnaia durchgesetzt

(Motorsport-Total.com) – In vielen Fällen, wenn ein MotoGP-Pilot zum ersten Mal Weltmeister wird, scheint sich sein Leben von außen betrachtet mehr zu verändern als dahingehend, was er selber fühlt oder was ihm durch den Kopf geht.

Auf Jorge Martin tritt das nicht zu, wenn wir uns vergegenwärtigen, was der 26-jährige Spanier im Interview für die spanischsprachige Ausgabe von Motorsportcom, einer Schwesterplattform von Motorsport-Totalcom im Motorsport Network, verrät.

Man hat das Gefühl, dass Martin jetzt vor allem erleichtert ist vom Druck, den er sich in der MotoGP-Saison 2024 selber auferlegt hat. Es war seine letzte Saison auf einer Ducati, bevor er beginnend mit 2025 das Aushängeschild von Aprilia sein will. Im Verlauf der Saison 2024 musste Martin gegen eine Vielzahl von Elementen ankämpfen.

Der „Martinator“ kämpfte gegen Francesco „Pecco“ Bagnaia um den WM-Titel, und das mit Erfolg. Er kämpfte gegen Marc Marquez um den Platz im Ducati-Werksteam, der letztlich an den achtmaligen Weltmeister gegangen ist. Und er kämpfte auch gegen seine eigene DNA, indem er eine Saison mehr auf Basis von Konstanz denn reiner Geschwindigkeit plante und fuhr.

Frage: „Jorge, in einem für dich so wichtigen Jahr wie diesem, gab es da etwas, das du über dich selber entdeckt hast, das dich überrascht hat?“

Jorge Martin: „Ich habe gelernt, mir selber viel mehr zu vertrauen. Ich war schon immer ein Mensch mit vielen Zweifeln. Als Kind war ich sehr negativ. Als ich im Rookies-Cup fuhr, glaubte ich nicht, dass ich weiterkommen würde. Ich dachte nicht, dass ich es bis auf WM-Ebene schaffen würde. Aber nach und nach habe ich mir selber bewiesen, dass ich in der Lage bin, diese Ziele zu erreichen.“

„Dieses Jahr habe ich wirklich an mich geglaubt, bevor ich den WM-Titel errungen habe. Früher war es so: Bevor ich etwas erreichen konnte, musste ich mich selber davon überzeugen, dass ich fähig bin. In diesem Jahr nun habe ich daran geglaubt, dass ich fähig bin, bevor ich es erreicht habe. Das ist etwas, was ich für die Zukunft mitnehmen werde.“

Frage: „Die von dir beschriebene Unsicherheit passt so gar nicht zu dem Bild, das du vermittelst, nicht wahr?“

Martin: „Ja, mag sein. Ich bin in diesem Jahr viel ruhiger geworden. Ich war weniger impulsiv und war in der Lage, in den wenigen Momenten, in denen es schlecht lief, die Ruhe zu bewahren. All das hat mir geholfen, aber nicht nur mir selber, sondern auch meinem Team. Warum? Ich konnte mich klarer ausdrücken und erklären, was ich vom Motorrad brauche.“

Frage: „Im Jahr 2023 warst du sehr kritisch mit dir selber, nachdem du den WM-Titel verloren hattest. Inwieweit ist das ein wichtiger Grund dafür, dass du jetzt als MotoGP-Weltmeister vor uns sitzt?“

Martin: „Ich glaube, ich bin ziemlich selbstkritisch. Das sehe ich als eine positive Sache. Wenn man jünger ist, sucht man immer nach Ausreden, aber die bringen einen nicht weiter. Irgendwann habe ich angefangen, meine Fehler zu erkennen. Und von da an habe ich mich darauf konzentriert, sie zu korrigieren, um mich zu verbessern.“

„In diesem Jahr war mir das zum Beispiel in Deutschland, wo ich durch meinen eigenen Fehler gestürzt bin, sehr klar. Ich hätte sagen können, dass ich es vermasselt habe. Aber das Entscheidende war, dass ich das in eine Lektion umwandeln konnte, die mir für den Rest der Saison geholfen hat.“

Frage: „Du hast kürzlich über die Bedeutung der Rolle eines Sportpsychologen im Hinblick auf deine Leistung gesprochen. Glaubst du, dass dieses Thema immer noch stigmatisiert ist?“

Martin: „Es scheint ein Tabuthema zu sein. Manche Leute denken, dass die Inanspruchnahme eines Psychologen ein Zeichen von Schwäche sei. Tatsächlich aber ist das Gegenteil der Fall. Ich sehe es als Beweis für Stärke, weil es den Willen zeigt, sich zu verbessern.“

„Niemand ist perfekt, wir alle haben ein paar Schwächen, die wir verbessern können. Ein Psychologe wird einem keinen Schaden zufügen. Er gibt einem lediglich Hilfsmittel an die Hand, das man nach eigenem Ermessen einsetzen kann, sofern man gewillt ist, das zu tun.“

Frage: „Im Verlauf der vergangenen drei Jahre hast du dich als Fahrer auf der Rennstrecke verändert. Du hast dich weniger auf deine Explosivität, sondern viel mehr auf Konstanz gestützt und dabei etwas von deinem natürlichen, reinen Speed geopfert. War diese Wandlung eine freiwillige?“

Martin: „Das liegt an der Gelassenheit, von der wir vorhin gesprochen haben. Es stimmt, dass es einige Rennen gab, in denen ich ‚Pecco‘ lieber geschlagen hätte. Früher hätte ich ihn in diesen Situationen gejagt und wäre wahrscheinlich gestürzt.“

„Um das zu vermeiden, musste ich lernen, mich mit den 20 Punkten für den zweiten Platz zu begnügen, anstatt alles aufs Spiel zu setzen und für 25 Punkte zu viel zu riskieren. Diese Herangehensweise hat mich zum Punkterekord und zum WM-Titel geführt, obwohl mein Rivale elf Grands Prix gewonnen hat. Ich bin sehr stolz darauf, dass ich den besten ‚Pecco‘ aller Zeiten geschlagen habe.“

Frage: „Bedeutet der Punkterekord, dass das das Wochenendformat mit Sprints und Grands Prix besser als jeder andere interpretiert hast?“

Martin: „Nun, ich wusste wahrscheinlich, wie ich dem Samstag die gleiche Bedeutung wie dem Sonntag geben konnte. Viele Fahrer haben am Ende des Jahres für schlechte Samstage bezahlt, während ich Punkte angehäuft habe. Insgesamt hatte ich vier Nullnummern von 40 möglichen. Man kann sich immer verbessern, aber ‚Pecco‘ hatte acht oder neun. Das hat den WM-Titel zu meinen Gunsten entschieden.“

Frage: „Glaubst du, dass alles, was du in dieser Saison erreicht hast, bedeutet, dass du nun am gleichen Tisch wie Marc Marquez und ‚Pecco‘ Bagnaia sitzt?“

Martin: „Ich bin sehr jung. Ich bin 26 Jahre alt und ich hoffe, dass dies erst der Anfang ist und ich noch viele Jahre vor mir habe. Was ich wirklich möchte, ist, dass man sich an etwas viel Tiefgründigeres erinnert als einen MotoGP-Titel.“

„‚Pecco‘ ist einer der besten Fahrer der Geschichte, und das nicht nur wegen seiner Zahlen. Er hat Stoner übertroffen, der als einer der fünf besten Fahrer überhaupt gilt. Ich habe ‚Pecco‘ geschlagen, und das mit demselben Motorrad. Ich weiß nicht, wo ich damit stehe.“

„Wenn man meine Jahre bei Mahindra [in der Moto3-Klasse] und in der Moto2-Klasse mitzählt, dann bin ich im Durchschnitt in jedem dritten Rennen auf das Podium gefahren. Wir werden sehen, wie das 2025 weitergeht, wenn ich dann mit einer anderen Marke antreten werde.“

Text von Oriol Puigdemont, Übersetzung: Mario Fritzsche

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