Pit Beirer - © KTM

© KTM – KTM-Motorsportchef Pit Beirer spricht über die aktuelle Situation

(Motorsport-Total.com) – Die KTM-Werke in Mattighofen und Munderfing in Oberösterreich sind aufgrund der Corona-Krise vorerst geschlossen.

Der Motorradbauer hat schon länger geplant gehabt, die Produktion herunterzufahren. Nun ging es dann doch schneller. „Am Montag haben wir den ganzen Motorsport geschlossen und haben dann mit der Produktion nachgezogen“, erklärt KTM-Motorsportchef Pit Beirer im Gespräch mit ‚Motorsport-Total.com‘.

Die Motorsportabteilung in Munderfing wurde als erstes geschlossen. Am vergangenen Donnerstag betraf das auch die Produktion in Mattighofen. „Im Motorsport habe ich relativ früh verstanden, dass es nicht darum geht, irgendwo mit Gewalt noch ein Rennen durchzudrücken, sondern sofort mit dem Aufwand und den Kosten runterzufahren, um der Firma Luft zu geben“, so Beirer weiter.

„Der Stopp im Motorsport war schon am Sonntag beschlossene Sache. Dass die Situation dann viel schlimmer werden würde, haben wir da noch gar nicht gewusst. Mit der Schließung sind wir momentan bis nach Ostern am 14. April aufgestellt. Man muss natürlich beobachten und dann sehen, wie lange man wirklich geschlossen haben muss.“

Vor allem die Motorsportabteilung ist prinzipiell ein globales Geschäft. KTM ist in diversen Rennserien aktiv und demnach gibt es viele Reisen. „Wenn man weltweit 300 Leute plus 80 Fahrer im Einsatz hat, die mit voller Power die Saison starten wollten und man dann alle einbremsen muss, dann ist das ein Wahnsinn, was da alles frei wird. Das war zunächst die erste Entscheidung.“

„Dann steht dahinter ein großer administrativer Aufwand. Man kann den Leuten ja nicht einfach sagen, du bleibst jetzt daheim für vier, fünf Wochen und dann schauen wir mal“, so Beirer über die aktuelle Situation. „Wir sind in der Verantwortung, die Leute ordentlich in den Stopp zu schicken. Und da muss man ganz klar sagen, die Bundesregierung in Österreich hat schnell und entschlossen gehandelt.“

Lob für die österreichische Bundesregierung
Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat am 18. März angekündigt, dass es ein 38 Milliarden Euro schweres Hilfspaket für die österreichische Wirtschaft geben wird. „Koste es, was es wolle, um österreichische Arbeitsplätze zu retten“, so der Kanzler. Auch KTM mit rund 4.200 Mitarbeitern ist davon betroffen.

„Wir haben Werkzeuge in die Hand bekommen, um die Leute abzusichern, während wir sie nach Hause schicken. Da gibt es gute Regelungen“, lobt Beirer die Maßnahmen der Regierung. „Es ist jetzt auch nicht wichtig, an welchem Tag wir wieder anfangen zu arbeiten. Zunächst wird Urlaub abgebaut und dann wird übergeleitet auf Kurzarbeit.“

„Von dem her sind die Mitarbeiter in Österreich hervorragend versorgt, denn sie werden bis zu 80 Prozent des Netto-Einkommens erhalten. Der Übergang, der hier in der Kürze und in dieser Qualität stattgefunden hat, war wirklich von der Regierung bis zu unserem Management eine Meisterleistung.“

Der Sport ist jetzt ganz weit weg
Für alle ist die derzeitige Situation neu. Die Menschen werden aufgefordert zu Hause zu bleiben, um die Ausbreitung von COVID-19 einzudämmen. „Das ist ganz weit weg von den Herausforderungen, die der Sport bietet. Man muss ganz schnell reagieren und mit der Bekanntheit unserer Sportler mit gutem Beispiel vorangehen“, sagt Beirer. „Man muss mitziehen, was jetzt gefragt ist, um das in den Griff zu kriegen.“

„Jetzt ist wichtig, dass die ganze Firma diese Krise gesundheitlich übersteht und dann auch von den Finanzen her gut übersteht.“ Denn auch wirtschaftlich wird die Corona-Krise Folgen haben. „Es war jetzt wichtig, den Motorsport rasch zurückzunehmen. Die Firma braucht jetzt Luft, um wichtige Aufgaben zu erledigen und 4.200 Arbeitsplätze zu erhalten.“

„Man kann sich nur bei unserer Mannschaft bedanken, die relativ schnell verstanden hat, worum es geht. Es sind Schritte, die von unserer Belegschaft, der Bundesregierung und unserer Firma notwendig sind. Wir müssen zusammenzuhalten, um hinterher dann richtig Gas geben zu können. Dann gehen wir wieder mit Freude an den Rennsport.“

Pit Beirer hat schon früh die Reißleine gezogen
Auch für Beirer waren die vergangenen Wochen eine komplett neue Erfahrung. Der Deutsche hat schon frühzeitig geahnt, was auf uns alle zukommen wird: „Entgegen meinem Naturell war ich relativ früh beunruhigt. Ich habe schon Früh meine wichtigsten Leute gewarnt. Alle haben noch etwas erstaunt geschaut, aber irgendwie war die ganze Entwicklung, als sie in China begonnen hat, beunruhigend.“

„Wenn man so wie ich mit 400 Leuten weltweit zusammenarbeitet, bekommt man natürlich mit, was in jedem Land so passiert. Ich war mental relativ früh darauf eingestellt, dass da eine unangenehme Situation auf uns zukommt. Wobei ich es auch selbst nicht wahrhaben wollte. Als wir die ersten Motocross-Rennen gefahren sind und die Leute weltweit verteilt waren, war die Verantwortung groß.“

„Wann entscheidet man sich, die Reißleine zu ziehen? Bei vielen Veranstaltungen habe ich die FIM früh informiert, dass unsere Leute nicht mehr reisen werden, egal ob Motocross in Argentinien oder ob die Rallye in Abu Dhabi noch stattfinden würden. Dort habe ich unsere Leute abgemeldet bevor die Entscheidung kam, dass die Rennen nicht stattfinden werden.“

KTM will im Homeoffice weiterentwickeln
Nun ist offen, wann in Europa wieder Normalität einkehren wird. Wann die ersten Rennen stattfinden werden, ist ohnehin ungewiss. So wie viele Menschen sitzen nun auch die KTM-Mitarbeiter zu Hause und warten ab, wie sich die Situation weiterentwickeln wird. Teilweise ist auch Homeoffice angesagt, sofern es möglich ist.

„In den Bereichen Konstruktion, Entwicklung und Elektronik kann man gewisse Dinge zu Hause machen“, sagt Beirer über die Möglichkeiten der Heimarbeit. „Aber irgendwann muss man dann die Hardware bauen. Alles was für die Zukunft gedacht ist, werden die Jungs zu Hause weitermachen und mit fertigen Konstruktionsplänen aus der Pause zurückkommen.“

„Oft hat man neben dem Tagesgeschäft keine Zeit, um konzeptionelle Arbeit zu machen. Wenn schlaue Ingenieure Zeit haben und über andere Dinge nachdenken können, dann entstehen neue Erfindungen und Kleinigkeiten, die man verbessern kann. Das wollen wir schon vorantreiben und es nicht ganz auf Eis legen. Aber irgendwann muss man das in die Hardware ummünzen und das funktioniert momentan nicht.“

„Grundsätzlich muss ich sagen, dass sich am letzten Tag auch rührende Szenen abgespielt haben. Mir sind am Eingang Leute entgegengekommen mit dem Computer unterm Arm, die zu mir gesagt haben, dass ich eintragen kann, was ich will – Urlaub, Kurzarbeit, aber sie werden daheim voll weiterarbeiten und fertige Konstruktionen abliefern, wenn die Situation vorbei ist. Ich habe eine Solidarität in der Motorsportabteilung gesehen, die eigentlich zu Tränen gerührt hat.

Text von Gerald Dirnbeck

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