Sieben Wochen sind vergangen, als die MotoGP den größten Verlust der vergangenen Jahre hinnehmen musste. Vor 49 Tagen verlor Marco Simoncelli zuerst die Kontrolle über seine Honda RC212V und wenig später sein Leben.
Der Unfall von Sepang versetzte die MotoGP in eine Art Schockstarre, die man den sonst so abgeklärten Protagonisten der Motorrad-WM beim Saisonfinale in Valencia noch deutlich anmerkte.
Sepang war für den großen Italiener mit der einzigartigen Lockenpracht ein magischer Ort.
Drei Jahre vor dem verhängnisvollen Sturz feierte er hier seinen ersten und letzten Weltmeistertitel und krönte sich zum vorletzten 250er-Weltmeister der Geschichte. Kurz nach seinem größten Triumph erinnerte er sich an seine Anfänge: „Mein Vater war ein großer Motorradfan“, wurde Simoncelli von ‚Motorcyclenews‘ zitiert. „Als ich sieben Jahre alt war, brachte er mich zu einem Minibike-Test. An diesem Tag begann meine Karriere.“
„Mein erstes Jahr in der Italienischen Meisterschaft schloss ich als Zweiter ab“, berichtete er 2008 stolz. Auf die Frage, welche Stärke ihn charakterisiere, antwortete Simoncelli: „Ich bin ein schneller Fahrer. Und ich bin ein sehr unbequemer Gegner für die anderen, wenn ich mit ihnen kämpfe. Ich weiß nicht, wie ich es sagen kann. Ich bin hart. Ich verteile keine Geschenke. Im Kampf gebe ich 100 Prozent. Meiner Meinung nach bin ich stark.“
Aggressivität sorgt für Kritik
Schon damals machte er sich mit seiner Fahrweise nicht nur Freunde. Legendär sind die Kämpfe mit Alvaro Bautista und Hector Barbera, mit denen er bis zuletzt um Positionen kämpfte. In der Saison 2008 kam es in Mugello zu einem Zwischenfall, bei dem Barbera spektakulär abstieg, weil Simoncelli seinen Bremshebel berührte, als er die Linie kreuzte. Gefährlich empfand er sein Manöver nicht: „Nein, denke ich nicht. Ich bin der Meinung, dass ich ein sehr aggressiver, aber korrekter Fahrer bin.“
Wenig später gab er noch zu: „Für mich war mein Manöver korrekt, aber ein bisschen gefährlich.“ Bautista beschwerte sich in Donington über die Fahrweise von Simoncelli. „Für mich fand Donington nie statt“, kommentierte der Italiener. „Ich versuchte Alvaro zu überholen und bog etwas schneller in die Kurve ein und kam von der Ideallinie ab. Das war aber eine normale Rennhandlung. Wir haben uns nicht berührt. Für mich ist es ein normaler Vorgang in einem Rennen.“
In Misano gingen die Kontroversen weiter. „Misano war ein sehr schwieriges Rennen, weil Hector Barbera sehr aggressiv und für mein Empfinden nicht korrekt war“, schildert der spätere Weltmeister. Trotz der Diskussionen hatte Simoncelli in dieser Zeit nie einen ernsthaften Sturz.
Ein echter Racer
Typisch für ihn war die Antwort auf die Frage, ob er denn manchmal Angst habe: „Nein. Nein. Ich hatte ein bisschen Angst in Misano als Barbera hinter mir war“, erläutert er. „Ich musste mit einem Auge nach vorne schauen und mit einem Auge nach hinten, um ihn zu kontrollieren, als ich in die Kurve einbog.“
Nach dem Titel 2008 folgte ein weiteres Jahr bei den 250ern. Trotz sechs Siegen verpasste er die Titelverteidigung und wurde WM-Dritter, bevor der Aufstieg in die MotoGP folgte. 2010 ging er für Gresini-Honda an den Start und verletzte sich bei den Tests, so dass er zum Saisonstart nicht ganz fit war.
„Das Motorrad ist stärker und schwerer“, bilanzierte er zur Halbzeit der Saison. „Wenn man stürzt, ist es schlimm. Wenn man mit einer 250er einen Highsider hat, fliegt man recht hoch. Aber mit einer MotoGP-Maschine fliegt man höher.“ In seiner ersten MotoGP-Saison sammelte Simoncelli 125 WM-Punkte und belegte damit Rang acht in der Meisterschaft.
Damals fehlte ihm das Tempo, um mit der Spitze mitzuhalten. „Die Herausforderung ist, schneller zu sein. Ich denke, wenn ich das Tempo habe, wird der Kampf mit ihnen nicht das Problem sein“, analysierte er damals. „Ich genieße es, mit anderen Fahrern zu kämpfen.“
Simoncelli mit Siegchancen
2011 war Simoncelli deutlich konkurrenzfähiger als in seiner Debütsaison. Auch wenn es die Ergebnisse nicht immer zeigten, so war der Anschluss zur Spitze hergestellt. Bereits beim zweiten Saisonlauf in Jerez hatte der 24-Jährige eine Chance auf den Sieg. Durch einen Sturz schied er aus.
Viel Kritik erntete er für das Manöver in Le Mans, bei dem er seinen Markenkollegen Dani Pedrosa unsanft vom Motorrad holte und damit dessen WM-Chancen begrub. Beim Rennen in Motegi erklärte der Gresini-Pilot, dass er für diesen Zwischenfall keine bösen Worte von HRC-Boss Shuhei Nakamoto erntete.
„Ich habe nach Le Mans mit ihm gesprochen“, berichtete Simoncelli. „Er hat aber nie etwas Ungewöhnliches zu mir gesagt. Er sagte nie: ‚Du musst deinen Fahrstil ändern.‘ Ich denke, dass ich ein recht intelligenter Kerl bin. Ich analysiere mein Rennen, ich analysiere meine Fehler. Sicher verstehe ich, dass ich einen taktischen Fehler gemacht habe, weil ich hätte warten müssen, Pedrosa zu überholen.“
Entschlossen und selbstsicher
„Dennoch bin ich der Meinung, dass das Manöver nicht falsch war. Zudem glaube ich, dass man bei einem Unfall im Straßenverkehr die Schuld nie einer einzelnen Partei gibt. Es ist immer 50/50 oder 60/40“, erklärte er. Spätestens nach dem Rennen in Assen, in dem er in der ersten Runde stürzte und Jorge Lorenzo mit sich nahm, verlor Simoncelli seine Aggressivität.
In den folgenden Rennen tat er sich schwer und zögerte häufig: „Einige Male, als es Zeit für einen Angriff war, habe ich zurückgesteckt“, gab er zwei Rennen vor seinem Tod zu. „Aber jetzt, nach Brünn, nach meinem Podium, habe ich meinen Stil zurückgefunden. Ich folge mehr meinem Instinkt, wenn ich auf der Strecke bin.“
Dieser Instinkt brachte ihm bei seiner letzten Zielankunft in Australien mit Platz zwei das bisher beste Ergebnis in der MotoGP ein. Der erste MotoGP-Sieg des Italieners war nur noch eine Frage der Zeit. Daran zweifelt 49 Tage nach dem Tod des charismatischen Italieners sicher niemand.
Text von Sebastian Fränzschky
Quelle, Infos, Hintergrundberichte: www.motorsport-total.com/
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