Marc Marquez wirkte fast erleichtert, als er heute Nachmittag in Brünn vor die Presse trat. In der Honda-Hospitality herrschte zu Beginn seines Medientermins noch gähnende Leere, weil gleichzeitig Sieger Dani Pedrosa, Jorge Lorenzo und Valentino Rossi in der offiziellen Dorna-Talkrunde im Media-Center referierten. Erst nach und nach trafen die Journalisten bei Marquez ein – einer mehr außer Atem als der andere, weil sie hastig von einem Termin zum nächsten spurten mussten.
Dass Marquez seinen Standardtermin um 16:00 Uhr wahrnimmt, hat es dieses Jahr noch nie gegeben, weil er sonst immer selbst in der Sieger-Pressekonferenz sitzt. Aber das schien ihn heute trotz des schlechtesten Saisonergebnisses kaum zu stören. Völlig entspannt gab er zunächst fünf TV-Interviews in drei Sprachen (mit den immer gleichen Antworten), ehe er kurz mit Bruder Alex Marquez plauderte und schließlich geduldig die Fragen der großteils zu spät eingetroffenen Journaille beantwortete.
Die Frage, wie erleichtert er sei, dass die Siegesserie heute gerissen ist, traf offenbar einen Nerv: „Ich fühle mich ehrlich gesagt viel besser als davor. Der Druck war schon enorm.“ Genau wie der 21-Jährige selbst können auch die meisten Konkurrenten über das heutige Ergebnis lächeln – mit einer Ausnahme: „Ich bin ein bisschen sauer auf Marc, denn jetzt habe ich meine Wette verloren“, witzelt Cal Crutchlow – und betont scherzhaft, dass er als Profisportler natürlich nie an Wettmanipulationen teilnehmen würde…
Schlechter Reifensatz nicht ungewöhnlich
„Ich wollte nicht, dass Marc jedes Rennen gewinnt, schließlich will ich auch selbst gewinnen. Aber gewettet habe ich! Ich hätte nicht gedacht, dass er nur Vierter wird, aber anscheinend hatte er Reifenprobleme“, sagt der Ducati-Pilot. Damit stand Marquez heute übrigens nicht alleine da: „Ich hatte im Rennen auch einen schlechteren Reifensatz, im Training ebenfalls. Der im Qualifying war gut. Andrea hatte kürzlich einen schlechten Reifen, Bradley im Rennen auch.“
Die „Ehre“, Marquez‘ Serie von zehn Siegen in den ersten zehn Saisonrennen enden zu lassen, wurde ausgerechnet seinem Honda-Teamkollegen Dani Pedrosa zuteil. „Gut, wenn es unterschiedliche Sieger gibt“, findet der Spanier, in der Weltmeisterschaft immer noch 77 Punkte hinter seinem Landsmann. „Natürlich haben sich Marcs Fans Woche für Woche über seine Siege gefreut, aber heute sind einmal andere Fans auf ihre Kosten gekommen.“
Die große Frage ist nun, „wie er an die kommenden Rennen herangehen wird“, meint Pedrosa. Doch wer live erlebt hat, wie befreit Marquez wirkt, dass er nun nicht mehr ständig gefragt wird, ob er dieses Jahr alle Rennen gewinnen kann, muss um dessen Moral nicht fürchten. So meint es auch Rossi nur augenzwinkernd, wenn er sagt: „Die Meisterschaft ist seit heute wieder offen. Marc liegt nicht mehr weit vor uns. Es sind weniger als 100 Punkte…“
Rossi: So hart umkämpft ist die MotoGP
„Wahrscheinlich hat er beim Setup daneben gegriffen“, vermutet der Yamaha-Star. „So ist das in der MotoGP. Wenn du nicht 100 Prozent abrufen kannst, bist du gleich hinten. Schon nach drei, vier und fünf Siegen hat es ja immer geheißen, dass jetzt die Strecke kommt, auf der Marc nicht gewinnen kann. Aber letztendlich hat es dann doch bis Brünn gedauert.“ Vor Marquez gelandet zu sein, ist für Rossi übrigens nicht das Wichtigste: „Wichtiger ist mir, auf dem Podium zu stehen.“
Pedrosa sieht das ähnlich: „Ich konzentriere mich darauf, Rennen zu gewinnen und in jedem Training mein Bestes zu geben. Das wird in Silverstone wieder genauso sein. Ich schaue nicht auf den Stand in der Meisterschaft. Ich konzentriere mich auf das erste Training, dann auf das Qualifying und dann auf das Rennen. An die Punkte denke ich erst später. Man darf nicht so sehr an die anderen denken, sondern muss sich auf sich selbst konzentrieren“, unterstreicht er.
Crutchlow freut sich übrigens „sehr“ für Pedrosa: „Ich finde ehrlich, dass er das verdient. Er ist das ganze Wochenende, ja, die ganze Saison gut gefahren.“ Der Ducati-Pilot, selbst 1,71 Meter groß, bezeichnet den Brünn-Sieger (1,58 Meter klein) übrigens scherzhaft als „Missgeburt“, will dies aber keinesfalls als Beleidigung missverstanden wissen: „Diese Motorräder zu fahren, ist schwierig, aber wenn du siehst, wie groß er ist, dann ist er ein echter Krieger!“
„Missgeburt“: Crutchlow bewundert kleinen Pedrosa
„Es ist für niemanden ein einfaches Rennen, auch nicht für ihn, aber er ist fantastisch gefahren. Dani verdient diesen Sieg und ich freue mich für ihn“, schwärmt Crutchlow. Und in einem sind sich inzwischen sowieso alle einig: „Die Meisterschaft ist gelaufen, Marc ist der Champion – wenn ihm nichts Ungewöhnliches mehr zustößt“, weiß Jorge Lorenzo, heute guter Zweiter. „Marc zu besiegen, ist toll – aber schöner wäre es, das Rennen zu gewinnen anstatt Zweiter zu werden“, ergänzt er.
„Marc hat nun weniger Druck, weil er nicht mehr alle Rennen gewinnen kann“, kann er nachvollziehen, warum Marquez heute sogar erleichtert ist. „Vor einem Jahr hat er hier gewonnen. Ich vor einem Jahr in Motegi. Marc hat gezeigt, dass er auf jeder Strecke gewinnen kann. Ich habe gezeigt, dass ich auf einer Honda-Strecke wie Motegi gewinnen kann. Wir konzentrieren uns jedenfalls auf unser nächstes Rennen. Es kann sich von einem Rennen zum anderen viel ändern.“
Für Stefan Bradl war es „an der Zeit, dass die Siegesserie bricht. Es ist natürlich schon krass: Er gewinnt alle zehn Rennen und wird dann nur Vierter. Aber man kann das eben alles nie so planen“, so der LCR-Pilot. Tech-3-Fahrer Bradley Smith würde Marquez‘ Sorgen übrigens gern haben: „Er muss heute Probleme gehabt haben, denn Platz vier ist für ihn ein großes Problem! Es ist aber gut für die Meisterschaft, dass endlich auch andere Fahrer gewinnen.“
Text von Christian Nimmervoll & Gerald Dirnbeck
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