Jorge Lorenzo, Marc Marquez  © FGlaenzel

© FGlaenzel – Marc Marquez hat keine Angst vor großen Namen und geschichtsträchtigen Kurven

Es gibt Strecken, auf denen die finalen Meter eines Rennens besonders heiß sind, wenn sich zwei Fahrer über die Positionen noch nicht einig sind. Jerez gehört zu diesen ganz besonderen Kursen. In der finalen Kurve, die seit diesem Wochenende den Namen von Yamaha-Star Jorge Lorenzo trägt, gab es schon einige hitzige Manöver. Mick Doohan, Alex Criville, Valentino Rossi und Sete Gibernau schrieben hier bereits Geschichte.

Lorenzo erinnert sich: „2005 gab es zwischen Valentino und Sete Gibernau einen Zwischenfall. Und auch 2010 hatte ich an dieser Stelle einen harten Kampf mit Dani (Pedrosa; Anm. d. Red.). Es ist wohl die Kurve, die am meisten herausragt. Dass diese Kurve nun nach mir benannt wurde, ist wie ein Traum“, bemerkte er vor dem Rennwochenende in Jerez. Doch nach dem 27 Runden langen Rennen am Sonntag fühlte es sich vermutlich nicht mehr so traumhaft an.

Lorenzo verweigert Handschlag
Lorenzo ließ die Tür in der finalen Kurve der letzten Runde zu weit offen. Diese Chance nutzte MotoGP-Neuling Marc Marquez und zog nach innen. Es kam zum Zusammenstoß. Lorenzo musste seine M1 aufrichten, um nicht zu stürzen, während Marquez in Richtung Ziel fuhr. Der Weltmeister fühlte sich um Platz zwei, vier Punkte und seine Ehre beraubt. In der Auslaufrunde, auf dem Podest und in der anschließenden Pressekonferenz konnte man Lorenzo ansehen, wie verärgert er war.

Marquez hingegen strahlte über beide Ohren. Der amtierende Moto2-Champ genoss den Triumph über Lorenzo. Der Sieg von Pedrosa rückte klar in den Hintergrund. „Nun erhalte ich viele Fragen. Als ich in Katar gewann, kamen keine Fragen. Das ist etwas seltsam“, bemerkte Lorenzo in der Pressekonferenz und stellte klar, dass er sich nicht zum Vorfall in der nach ihm benannten Kurve äußern möchte.

Rossi: „Schönen Seiten des Rennsports“

Teamkollege Rossi kann Lorenzos Enttäuschung nachvollziehen, stuft Marquez‘ Manöver aber nicht als unfair ein. „Ich habe das Manöver in der letzten Kurve bisher erst einmal kurz im Fernsehen gesehen. Deshalb kann ich noch nicht genau sagen, was passiert ist. Es ist die letzte Kurve in der letzten Runde. Es sieht so aus, dass Lorenzo die Türe offen gelassen hat und Marquez es probiert hat“, schildert Rossi.

„Sie haben sich berührt. Es ist normal, dass Jorge wütend ist. So ist aber der Rennsport. Es ist die letzte Kurve, die letzte Runde. Der nachfolgende Fahrer kann es mit der Brechstange probieren“, bemerkt der Italiener, der Gibernau 2005 an gleicher Stelle in den Kies beförderte und das Rennen dadurch gewann. Im diesjährigen Rennen lag Rossi aber etwas zu weit zurück, um die Szene live zu beobachten. „Auf dem Motorrad habe ich es nicht genau gesehen, weil ich zu weit zurücklag.“

Ein generelles Problem sieht Rossi bei Honda-Werkspilot Marquez nicht, auch wenn er die Moto2-Manöver des amtierenden Weltmeisters als unnötig bewertet: „Für mich hat es Marquez im Vorjahr etwas übertrieben. In Katar machte er Lüthi die Türe zu und Lüthi musste ausweichen. In Valencia kann ich mich an einen Vorfall mit Corsi erinnern, wo Corsi stürzte. Das war zu viel. Es gibt auf der Rennstrecke Regeln. Jetzt war es die letzte Kurve. Es sind zwei große Champions. Der Hintermann will überholen und der Vordermann will sich nicht überholen lassen. Dann kommt das dabei raus. Das sind aber auch die schönen Seiten des Rennsports.“

Crutchlow sieht kein Problem
„Es ist Rennsport. Ich denke nicht, dass Marquez etwas falsch gemacht hat“, urteilt Tech-3-Pilot Cal Crutchlow. „Wenn Jorge die Chance gehabt hätte, dann hätte er genauso gehandelt. Marquez fuhr nicht absichtlich in seine Seite. Er musste etwas weit gehen und da war Jorge. Das kommt im Rennsport manchmal vor. Wir wissen, dass Marquez nicht der Sensibelste ist. Er hat ein gutes Überholmanöver gezeigt. So einfach ist das.“

Laut Crutchlow ist Marquez kein besonders gefährlicher Fahrer. „Er ist ein harter Fahrer. Er geht ans Limit. Es sieht in beinahe jeder Kurve so aus, als ob er vom Motorrad fällt. Doch das ist sein Stil. Ich muss dazusagen, dass das der Stil ist, den die Honda fordert“, analysiert der Brite. „Es sind viele Motorräder, die auf der Strecke unterwegs sind. Da passiert immer mal was. Wir haben es schon millionenfach gesagt: Im Training oder Qualifying ist so etwas sinnlos. Da gibt es einfach keinen Grund. Doch im Rennen ist es normal. Man kämpft. Es wäre verrückt, sich die Positionen zu überlassen.“

Ex-Teamkollege Dovizioso sieht es nicht ganz so entspannt wie Crutchlow und bewertet den Vorfall in der Lorenzo-Kurve als hartes Manöver: „Ich möchte nicht zu viel sagen, weil ich das Rennen nicht gesehen habe. Ich habe die letzte Kurve nur während der Highlights gesehen, aber es war sehr hart. Soweit ich beurteilen kann, wollte Marquez Lorenzo nicht berühren, aber er bremste zu spät. Zu diesem Zeitpunkt machte Lorenzo die Linie zu. Es war sehr hart. Wenn es einmal passiert oder er es nicht absichtlich gemacht hat, dann ist es okay. Er soll aber nicht glauben, dass er das beim nächsten Rennen auch machen kann.“

Smith: Lorenzo muss mehr Härte zeigen

MotoGP-Rookie Bradley Smith weiß aus der Moto2 und von den 125ern, wie man richtig hart kämpft. Entsprechend gelassen sieht er Marquez‘ Überholmanöver und kritisiert Lorenzo für die schwache Verteidigung: „Es war ein normales Rennmanöver. Selbst schuld, wenn man die Tür so weit offen lässt und jemanden einlädt, vorbeizuziehen. Bei den 125ern und in der Moto2 lernt man, dass man die Chance nutzt, wenn sie einem geboten wird.“

„Jorge war vor einigen Jahren Weltmeister bei den 250ern. Er musste seitdem nicht mehr richtig kämpfen. Wenn er jemanden einholt, dann überholt er und fährt davon. Man verliert dieses letzte Quäntchen Aggressivität. Wenn man ehrlich ist, dann erkennt man, dass er 2005 zum letzten Mal richtig kämpfen musste“, stellt Smith klar und übt damit Kritik an der Aggressivität des Weltmeisters von 2010 und 2012.

„Marquez war andererseits während des Rennens ein paar Mal beinahe im Heck von Lorenzo“, bemerkt Smith, der aber nach wie vor Lorenzo als Auslöser für den Vorfall sieht: „Wenn man nicht möchte, dass man von einem anderen Fahrer überholt wird, dann fährt man innen. Das ist die erste Regel für die letzte Kurve. Man muss die Innenbahn dicht machen.“

Keine Strafe für Marquez
Die Rennleitung ließ sich nach dem Rennen eine halbe Stunde Zeit, um sich die Zeitlupen der Szene ganz genau anzusehen. Am Ende kam man zum Ergebnis, dass es ein ganz normaler Rennvorfall war und am Ergebnis nichts geändert wird. Honda-Teamchef Livio Suppo befürwortete diese Entscheidung und erinnert auch noch einmal an die Szene zwischen Rossi und Gibernau vor acht Jahren.
„Es gab eine Lücke. Es war nicht das erste Mal und wird auch nicht das letzte Mal sein, dass so etwas passiert. Ich denke, dass es weniger aggressiv war als das, was zwischen Vale und Sete 2005 passierte. Damals gab es keine Strafe, ich könnte also nicht verstehen, warum es dieses Mal eine geben sollte“, berichtet Suppo. Yamaha-Teammanager Wilco Zeelenberg teilt Suppos Sicht der Dinge nicht ganz, fordert aber ebenfalls keine Strafe.

„Jorge war noch vor dem Scheitelpunkt. Man kann sich vorstellen, wo Marc gelandet wäre. Er wäre bis zur Tribüne geradeaus gefahren“, betont Zeelenberg. „Jorge hat die Tür etwas zu weit offen gelassen. Marc hat diese Chance ergriffen. Wir wissen, dass er ziemlich spektakulär zu Werke geht. Das haben wir bereits in der Moto2 gesehen.“ Auf einen Protest gegen die Entscheidung der Rennleitung verzichtete Yamaha. Die Chancen auf Erfolg waren zu gering.

Lorenzo war zu seinen Zweitaktzeiten (siehe Video) ähnlich entschlossen wie Marquez. „Auch Jorge hat in der Vergangenheit Fehler gemacht. Doch er hat sehr viel gelernt“, erinnert sich Zeelenberg, der die Bedachtheit seines Piloten schätzt: „Wenn man es Rennen für Rennen sieht, dann sind solche Aktionen normal. Doch wenn man etwas mehr an die Meisterschaft denkt, dann muss man die Rennen beenden.“

Poncharal: „Marquez ist sehr hungrig“

„Es gibt Strecken wie Jerez oder Assen, wo in der letzten Kurve immer etwas passiert“, betont Tech-3-Teamchef Herve Poncharal. „Alle können sich an Valentino und Sete erinnern und jeder hat noch Colins Crash in Assen im Gedächtnis. Vor zwei Wochen gab es auch bei der Superbike-WM unglaubliche Manöver. Diese Strecken sind so. Wenn ich Jorges Manager wäre, dann würde ich sagen, dass es etwas zu viel war. Wäre ich der Manager von Marqurez, dann würde ich sagen, dass man es probiert hat.“

„Deshalb ist man hier und man muss bis zur letzten Kurve Kampfgeist zeigen. Das hat er getan, weshalb ich es 50:50 sehe“, beschreibt Poncharal. „Vielleicht war sich Jorge zu sicher. Wenn er aber noch später gebremst hätte, hätte er die Türe für Marquez vielleicht noch weiter ausgemacht. Wenn man Marquez ist, dann muss man es probieren.“

„Ich glaube, dass Marquez es einige Runden lang nicht probiert hat und sich Jorge deshalb zu sicher gefühlt hat. Jorge ist sehr gut gefahren und ich glaube nicht, dass er das erwartet hat. Er hat schon sehr spät gebremst, aber Marc ist etwas Besonderes. Vale und Jorge haben viel Erfahrung und fahren sehr sauber. Marc ist aber 20 Jahre jung und kommt von der Moto2. Er ist sehr hungrig. Wenn man die Fans fragt, dann werden sie es lieben. Wird es mehr Aufmerksamkeit für die MotoGP erzeugen? Ich glaube schon“, so Poncharal.

Text von Sebastian Fränzschky

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