(Motorsport-Total.com) – Toprak Razgatlioglu hat sich mit seinem spektakulären Fahrstil in die Herzen vieler Rennsport-Fans gefahren.
Vor allem am Kurveneingang setzt sich Razgatlioglu mit atemberaubenden Manövern in Szene, die oft an die Aufnahmen aus einem Computerspiel erinnern.
„Das ist mein Stil, deshalb bin ich in diesem Bereich ziemlich stark“, bemerkt Razgatlioglu gegenüber WorldSBK.com und erklärt, warum er so spielerisch mit seinem Motorrad umgehen kann: „Beim Fahren fühlt sich das Motorrad wie ein verlängerter Arm an.“
„Ich habe beim Fahren großen Spaß und genieße es. Vor einigen Jahren war ich ein Stuntfahrer. Jetzt bin ich ein Rennfahrer“, berichtet der Superbike-Weltmeister der Saison 2021 und fügt hinzu: „Das Motorrad ist für mich einfach zu kontrollieren.“
Warum man sich bei Yamaha zu Beginn einige Sorgen machte
Yamaha profitierte von 2020 bis 2023 von Razgatlioglus beeindruckenden Fähigkeiten. Doch es gab zu Beginn einige bange Momente, als Razgatlioglu auf einem Rad in die Kurven einbog. Yamaha-Projektleiter Andrea Dosoli gesteht, dass er sich zu Beginn oft Sorgen machte, mit der Zeit aber verstand, dass es der normale Stil seines Fahrers ist.
„Er ist ziemlich besonders, weil er ein hohes Maß an Gefühl für den Vorderreifen hat. Er kann mit gezogener Bremse in die Kurven einbiegen. Er erkennt voll und ganz, wie stark er den Vorderreifen belasten kann. Mit wenigen Quadratzentimetern Kontaktfläche kann er einzig und allein auf dem Vorderreifen in die Kurven einbiegen“, staunt Yamaha-Projektleiter Andrea Dosoli.
Doch nicht nur während der Rennen sorgt Razgatlioglu für spektakuläre Bilder, wenn er deutlich später als seine Konkurrenten bremst und dann auf einem Rad innen vorbei zieht. Auch in der Auslaufrunde sorgt „Stoprak“ für eine gute Show. „Wenn Toprak einen Stoppie macht, dann zeigt das, dass er zufrieden ist“, bemerkt Andrea Dosoli.
Welche Faktoren zum einzigartigen Fahrstil geführt haben
„Es ist natürliches Talent, es ist auf seine DNA und seine Vergangenheit zurückzuführen. Aber auch das Training in der Türkei ist ein Faktor“, erklärt Yamaha-Teammanager Paul Denning, wie sich Toprak Razgatlioglus Stil entwickelt hat.
Bei den anderen türkischen Piloten erkennt Paul Denning einige Parallelen: „Man erkennt bei Can Öncü und Bahattin Sofuoglu eine ähnliche Entwicklung in Richtung dieses Fahrstils. Sie trainieren wie Tiere. Wenn man im Training so fährt, dann wird es normal, so auf der Rennstrecke zu fahren.“
Welche Probleme sich für die Ingenieure ergeben
„Das Motorrad befindet sich sehr oft in ungewöhnlichen Fahrzuständen“, stellt Paul Denning fest und bestätigt, dass die Ingenieure dadurch einige Probleme haben: „Das Hinterrad ist oft weit in der Luft und dann beschwert er sich bei seinen Ingenieuren, dass er keine Motorbremse hat. Das ist auch ziemlich schwierig umzusetzen, wenn das Hinterrad so hoch in der Luft ist.“
Crewchief Phil Marron kennt Toprak Razgatlioglu seit vielen Jahren und sollte sich mittlerweile an den Fahrstil des Türken gewöhnt haben. „Für mich ist es noch immer atemberaubend“, gesteht er. „Zuerst fragt man sich, ob er das Motorrad rechtzeitig verzögern kann. Doch dann erinnert man sich, dass es Toprak ist. Zu 99,9 Prozent kann er das Motorrad richtig abbremsen. Er verpasst nie den Scheitel der Kurve.“
„Ich würde es mit spektakulär beschreiben, was Toprak beim Bremsen macht. Er ist sehr aggressiv und hat einen einzigartigen Stil“, kommentiert Phil Marron. „Wenn wir auf den Daten erkennen, dass sein Hinterrad am Kurveneingang Kontakt zum Boden hat, dann fragen wir ihn, ob alles okay ist, denn das ist nicht sein normaler Stil.“
Der aggressive Fahrstil von Toprak Razgatlioglu beansprucht einige Teile des Motorrads ziemlich stark. Bei Yamaha hat man deshalb einige Bauteile bewusst öfter kontrolliert. „Wir überprüfen immer sehr intensiv die Umlenkung, die Lager und die restlichen Teile, die stark beansprucht werden“, verrät der Crewchief.
Brembo nutzt Toprak Razgatlioglu als Prüfstand
„Wir haben Bremsdrücke gesehen, die Brembo zuvor noch nie gesehen hat“, staunt Crewchief Phil Marron. „Sie waren richtig begeistert und machten Fotos von den Datenaufzeichnungen. Derartige Bremsdrücke haben sie bisher bei keinem anderen Fahrer gesehen.“
Franco Zonnedda vom Brembo-Kundendienst in der Superbike-WM bestätigt, dass Toprak Razgatlioglus Datenaufzeichnungen etwas Besonderes sind. „Toprak ist für uns eine Art Prüfstand“, bemerkt der Italiener.
„Wir testen unsere Komponenten auf einem Prüfstand für Bremsen. Dann bringen wir die Teile an die Rennstrecken. Toprak liefert sehr zuverlässige Auskünfte. Wir sind mit ihm sehr zufrieden, denn er stellt die Dinge auf der Rennstrecke stark auf die Probe“, kommentiert der Brembo-Verantwortliche.
Obwohl in der Superbike-WM im Gegensatz zur MotoGP mit konventionellen Stahl-Bremsscheiben gefahren wird, hält das Material den hohen Beanspruchungen stand. Doch Toprak Razgatlioglus Datenaufzeichnungen verraten nicht nur beim Bremsdruck, dass er die Bremsen stärker beansprucht.
„Die Temperaturen sind bei ihm ein bisschen höher als bei den anderen Fahrern. Bei ihm messen wir die höchsten Temperaturen, sowohl bei den Bremsscheiben als auch bei den Bremssätteln“, verrät Franco Zonnedda und zeigt sich entspannt: „Wir haben die passenden Waffen dafür.“
Text von Sebastian Fränzschky
Quelle, Infos, Hintergrundberichte: www.motorsport-total.com/
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