(Motorsport-Total.com) – Obwohl er sich Ende der MotoGP-Saison 2021 vom aktiven Motorradsport zurückgezogen hat, sorgt Valentino Rossi im MotoGP-Fahrerlager noch immer für mehr Aufsehen als die meisten aktuellen Piloten.
In Jerez, einer Strecke, die ihm schon immer sehr am Herzen lag, war der neunmalige Motorrad-Weltmeister am vergangenen Wochenende vor Ort.
Rossi war live dabei, als Francesco „Pecco“ Bagnaia – einer seiner Schüler in der VR46-Akademie – im Rennen am Sonntag zum Sieg fuhr und damit die Führung in der MotoGP-Gesamtwertung 2023 zurückerobert hat. Am Samstag hatte Rossi vor dem MotoGP-Sprint etwas Zeit, um im Interview für ‚Motorsport.com‘ über die Rennserie zu sprechen, die ihn zu einer Legende gemacht hat.
Frage: „Valentino, wie hat das Vatersein dein Leben verändert und hat es dir geholfen, dich selbst ein bisschen besser kennenzulernen?“
Valentino Rossi: „Vater zu sein ist eine wunderschöne Erfahrung. Natürlich verändert sich dein Leben, vor allem der Rhythmus und einige Gewohnheiten am Morgen, weil du früh aufstehen musst. Ich habe lange gewartet, bevor ich mich entschlossen habe, den Schritt zu wagen. Ich dachte, dass es sehr schwierig sein würde, das Vatersein mit den Anforderungen eines Rennfahrers zu verbinden. Jetzt glaube ich, ich hätte es schon früher tun können. Es ist eine Freude, Giulietta aufwachsen zu sehen.“
Frage: „Hattest du irgendwelche Zweifel oder Ängste?“
Rossi: „Nein, bis jetzt noch nicht. Ich kann mir aber vorstellen, dass die Dinge komplizierter werden, wenn Giulietta älter wird.“
Frage: „Du hast Honda einst verlassen, um ab 2004 für Yamaha zu fahren. Damit hast du gezeigt, dass in der Gleichung zwischen Fahrer und Motorrad die menschliche Komponente über die mechanische überwiegt. Würdest du das auch heute noch so einschätzen?“
Rossi: „Seitdem hat sich viel verändert. 20 Jahre sind vergangen. Es stimmt, dass das Motorrad eine große Rolle spielt, aber wenn diese Rennserie eines richtig gemacht hat, dann ist es die Tatsache, dass die Performance der Motorräder sehr ähnlich ist. Es gibt zehn Fahrer, die in der Lage sind, zu gewinnen.“
Frage: „Was ist der Unterschied zwischen dem Gefühl des Helmaufsetzens für ein Motorradrennen und für ein Autorennen?“
Rossi: „Es ist ganz ähnlich, aber die Angst ist viel geringer, wenn man ins Auto steigt. Die Sicherheitsgurte liegen eng an und man ist vom Überrollkäfig umgeben. Im Gegensatz dazu ist auf einem Motorrad die Adrenalinausschüttung größer.“
Frage: „Ist es überhaupt möglich, in einem Auto noch aufgeregt zu sein, nachdem man MotoGP gefahren ist?“
Rossi: „Ja, ich wollte schon immer Autorennen fahren, weil ich schon mein ganzes Leben lang ein großer Fan bin. Es gibt mir eine große Befriedigung, ein Rennauto zu fahren. Außerdem sind die Autos, die ich fahre, sehr konkurrenzfähig und sehr schnell. Ich würde sagen, das Gefühl, das ich bekomme, ist fast mit dem eines MotoGP-Bikes vergleichbar.“
Frage: „Was gab eigentlich den Ausschlag für den großartigen Auftakt von VR46 in die aktuelle MotoGP-Saison?“
Rossi: „Ich bin sehr zufrieden mit der Arbeit, die wir geleistet haben. Ich bin sehr stolz. Wir haben mit Moto3 und Moto2 angefangen, aber wenn man in die MotoGP-Klasse einsteigt, wird es viel schwieriger. Die Verantwortung ist enorm, viele Leute arbeiten an dem Projekt. Aber wir haben es hinbekommen. ‚Uccio‘ hat das sehr gut gemacht. Nach und nach haben wir unsere vertrauten Leute, mit denen wir im Fahrerlager schon immer auf einer Linie waren, zu einem Team zusammengestellt, das durch und durch VR46 ist. Die Ergebnisse in diesem Jahr sind erstaunlich und zeigen, dass wir unsere Arbeit gut machen.“
Frage: „Wir haben vor einiger Zeit mit ‚Uccio‘ gesprochen und er war ziemlich besorgt ob der Situation von Franco Morbidelli. Wie siehst du das?“
Rossi: „Die nächsten vier, fünf Rennen werden für Franco eine ganz wichtige Phase, in der er versuchen muss zu beweisen, dass er im Yamaha-Werksteam einen Platz hat. Ja, die Yamaha ist ein Motorrad, das gewisse Probleme hat. Er muss aber versuchen, mindestens so schnell zu sein wie Quartararo.“
Frage: „Was muss Yamaha tun, wenn sie VR46 überzeugen wollen, ihre Motorräder einzusetzen?“
Rossi: „Wir haben einen Vertrag bis zum Ende des nächsten Jahres. Also werden wir 2024 mit Ducati fahren. Ich würde es gerne sehen, dass VR46 mit Yamaha fährt, denn ich bin ein Yamaha-Fahrer. Es würde also Sinn ergeben. Das Problem ist, dass Yamaha einen Weg finden muss, die M1 zu verbessern. Wir wollen mit dem Gedanken in die Rennen gehen, dass wir gewinnen oder um das Podium kämpfen können. Momentan ist die technische Situation von Yamaha kompliziert. Sie haben das Potenzial, sich zu verbessern und es ist noch ein bisschen Zeit, bevor wir uns [für 2025] entscheiden. Aber Ducati hat seit der Ankunft von Dall’Igna wirklich zugelegt und das technische Niveau angehoben. Die anderen sind zu Verfolgern geworden.“
Frage: „Glaubst du, dass diese Veränderung technischer oder auch philosophischer Natur ist? Ich beziehe mich dabei auf die Beziehung zu den Satellitenteams.“
Rossi: „Ja, ich glaube, es gab ein Umdenken bei Ducati, aber auch eine große finanzielle Investition. Die japanischen Marken haben weniger ausgegeben.“
Frage: „Die Motorrad-WM macht gerade eine Phase durch, in der die Zuschauerzahlen niedriger sind als in den vergangenen Jahren. Was muss getan werden, um die verlorengegangenen Zuschauer zurückzugewinnen oder neue zu erreichen?“
Rossi: „Als ich gefahren bin, ist etwas Besonderes passiert. Es gab viele Leute, die sich nicht für Motorräder interessierten und plötzlich zu Fans wurden. Das betraf sowohl Italien als auch den Rest der Welt. Jetzt ist die Popularität der Weltmeisterschaft, sagen wir mal, wieder so wie vor meiner Zeit. Man sucht gerade nach Formeln, um mehr Leute anzuziehen. Ich denke da an die Sprintrennen. Ich finde, aus sportlicher Sicht funktioniert die Meisterschaft. Es ist aufregend, MotoGP-Rennen auf der Tribüne oder im Fernsehen verfolgen.“
Frage: „Die Formel 1 ist als Event sehr gewachsen, und zwar über das hinaus, was auf der Strecke passiert. Glaubst du, dass das auch hier der Weg in die Zukunft ist?“
Rossi: „Die Formel 1 verfolgt eine sehr amerikanische Linie, ähnlich wie die NBA, die sich sehr auf die Show konzentriert. Die Popularität, die sie in den vergangenen Jahren erlangt hat, ist erschreckend. Es ist ein Produkt auf sehr hohem Niveau, das jeder konsumieren will. Ich glaube, MotoGP kann das auch schaffen. Wie? Das weiß ich nicht. Das Potenzial ist aber auf jeden Fall vorhanden.“
Frage: „Und was ist deine nächste Herausforderung?“
Rossi: „Ich möchte an den 24 Stunden von Le Mans teilnehmen. Ich fahre jetzt GT-Autos, aber es gäbe auch die Möglichkeit, dort mit einem Hypercar zu fahren. Ich würde auch gerne noch einmal, wie schon im vergangenen Jahr, die 24 Stunden von Spa bestreiten. Dann wäre da noch das 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring, auf der langen Strecke. In einem Auto schnell zu sein, das ist es, was ich will.“
Text von Oriol Puigdemont, Übersetzung: Mario Fritzsche
Quelle, Infos, Hintergrundberichte: www.motorsport-total.com/
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