(Motorsport-Total.com) – Vor der Entscheidung über die Verlängerung seines MotoGP-Vertrags mit Yamaha, die am Freitag bekanntgegeben wurde, musste Fabio Quartararo zwischen zwei Wegen wählen: so schnell wie möglich wieder konkurrenzfähig zu werden, oder einen langfristigeren und lukrativeren Weg in Betracht zu ziehen.
Der Rückstand, den die Yamaha M1 aktuell im Vergleich zu den Motorrädern der anderen Hersteller aufweist, macht es für den MotoGP-Weltmeister von 2021 sehr schwierig, auf die Siegerstraße zurückzukehren, bevor sein neuer Vertrag – der ihn zum bestverdienenden Fahrer im Feld macht – ausläuft.
Seit dem Titelgewinn 2021 befindet sich die Leistungskurve von Quartararos Yamaha in einer steilen Abwärtsspirale, die nur mit der von Honda verglichen werden kann. Tatsächlich hatte der neben Yamaha zweite japanische Hersteller im MotoGP-Feld keine andere Wahl, als Marc Marquez am Ende der Saison 2023 zu entlassen, nachdem der erschöpfte Spanier bereit war und auf sein letztes Vertragsjahr und die ihm zustehenden 20 Millionen Euro zu verzichten.
Marquez hat sich für eine unerschrockene Reise ins Ungewisse entschieden und sich einem Satellitenteam angeschlossen – mit einer Ducati, die nicht einmal der aktuellen Spezifikation entspricht. Der sechsmalige MotoGP-Weltmeister hat diesen Weg eingeschlagen, um wie er damals sagte und auch heute noch sagt, „es zu genießen, wieder konkurrenzfähig zu sein“.
Es ist lange her, dass Quartararo Spaß hatte auf einer Yamaha, die sprichwörtlich vom Kurs abgekommen ist. Heute weist die M1 vielen Einschränkungen auf, vor allem mangelnde Traktion, und auch im Bereich des Handlings, was über viele Jahre hinweg eine der großen Stärken dieses Modells war.
Seine vorherige Vertragsverlängerung schloss „El Diablo“ vor zwei Jahren als amtierender Weltmeister ab. Damals, 2022, kämpfte er bis zum Saisonfinale um die Titelverteidigung. Mit drei Siegen und acht Podiumsplätzen war sein Motorrad konkurrenzfähig – kein Vergleich zum aktuellen Defizit. 2023 hat es Yamaha nur dreimal auf das Podium geschafft. Es waren die dritten Plätze, die Quartararo in den USA, in Indien und in Indonesien herausgefahren hat.
Quartararos erneute Vertragsverlängerung ist nun in dem Bewusstsein erfolgt, dass sein Motorrad nicht konkurrenzfähig ist und es während der Laufzeit seines neuen Vertrags (2025 und 2026) auch nicht werden wird.
In Katar, der ersten Station im MotoGP-Kalender 2024, fehlten dem Fahrer mit der Startnummer 20 im Qualifying 1,2 Sekunden auf die Pole-Zeit von Jorge Martin. Im Sprint überquerte er die Ziellinie als Zwölfter mit mehr als zwölf Sekunden Rückstand auf den Sieger (Martin). Im Grand Prix kam er als Elfter mit fast 18 Sekunden Rückstand auf den Sieger (Francesco Bagnaia) ins Ziel.
In Portugal, auf einer sehr schmutzigen Strecke und somit bei Bedingungen, die Ducati daran hindern, die Vorteile der Desmosedici voll auszuschöpfen, schaffte es Quartararo auf den sechsten Startplatz – nur sechs Zehntelsekunden hinter der Pole-Zeit von Enea Bastianini. Am Samstag wurde er Neunter mit 7,5 Sekunden Rückstand auf den Sieger (Maverick Vinales). Am Sonntag wurde er Siebter mit 20 Sekunden Rückstand auf den Sieger (Jorge Martin).
Keine Chance auf den zweiten WM-Titel
Trotz der Umstrukturierung bei Yamaha, die vor allem durch die Verpflichtung von Massimo „Max“ Bartolini als neuen Technischen Direktor gekennzeichnet ist, wird die Rettungsaktion Zeit brauchen. Unter normalen Umständen beträgt der Abstand zwischen den japanischen und den europäischen MotoGP-Bikes auf den meisten Strecken mehr als acht Zehntelsekunden pro Runde.
In der gegenwärtigen Situation und angesichts der bis 2027 geltenden Stabilität des Technischen Reglements ist die Schließung dieser Lücke keine Aufgabe, die in zwei Jahren zu bewältigen ist. Und das gilt ohnehin nur, solange die richtigen Schritte unternommen werden. Wird ein falscher Weg eingeschlagen, dann es noch bis wer weiß wann dauern, bis Yamaha wieder konkurrenzfähig ist.
Daraus können wir mit ziemlicher Sicherheit schließen, dass Quartararo mittelfristig nicht um den WM-Titel wird kämpfen können. „Yamaha ist meine Priorität, weil es die Marke ist, die mich in die MotoGP-Klasse gebracht hat. Ich vertraue Yamaha und gebe ihnen diese Chance. Doch es wird keine zweite Chance geben“, sagte Quartararo im August 2023 und wurde damals sehr deutlich: „Yamaha machte mir vor drei Jahren Versprechungen in einem zehnseitigen PDF-Dokument, wovon neuneinhalb Seiten noch offen sind.“
Unabhängig von den technischen Garantien, die ihm das jetzt von Max Bartolini geführte Team gegeben haben mag, war der andere große Trumpf im Ärmel von Yamaha-Rennleiter Lin Jarvis das Scheckbuch.
Die rund 12 Millionen Euro, die Quartararo in seinem neuen Vertrag stehen hat, sind mehr als das Doppelte des Grundgehalts des zweimaligen und amtierenden MotoGP-Weltmeisters Francesco Bagnaia bei Ducati, leistungsbezogene Boni außen vor. Aber selbst wenn „Pecco“ seinen dritten WM-Titel in Folge erringen sollte, würde er diese Summe nicht erreichen. Das macht Quartararo zum bestbezahlten Fahrer im Feld.
Konkretes Angebot von Aprilia
Die Alternativen zum Verbleib in seinem derzeitigen Umfeld waren für Quartararo nicht gerade zahlreich, und alle hätten dazu geführt, dass sich sein Einkommen erheblich reduziert hätte. Die solideste Alternative war Aprilia, wo man in den vergangenen Monaten einen Dialog mit ihm eröffnet hat.
„Was wir wollen, sind Fahrer, die sich für unser Projekt engagieren. Wir wissen, dass wir ein Motorrad haben, mit dem wir um die Weltmeisterschaft kämpfen können“, sagt Aprilia-CEO Massimo Rivola in einem Telefongespräch mit diesem Autor.
Die Rennabteilung der Piaggio-Gruppe hatte nicht das Budget, um mit Yamaha in den Kampf um „El Diablo“ zu ziehen. Auf der anderen Seite hat Aprilia ein konkurrenzfähiges Motorrad. Die Fortschritte der RS-GP wurden in den vergangenen Jahren durch eine Vielzahl von Beispielen belegt. In Portugal gewann Maverick Vinales den Sprint und wäre im Grand Prix Zweiter geworden, wenn nicht in der letzten Runde ein Getriebeschaden aufgetreten wäre.
Die Umstrukturierung und Modernisierung der internen Strukturen und der Arbeitsdynamik haben Aprilia zu einem der innovativsten und modernsten Teams im Fahrerlager gemacht. In einigen Bereichen hält man sogar dem Vergleich mit Ducati stand. Das Angebot an Quartararo aber lag bei kaum mehr als vier Millionen Euro – weniger als ein Drittel der Summe, für die er nun bei Yamaha verlängert hat.
Wenn schon der Weg zu Aprilia eine Gehaltskürzung für Quartararo bedeutet hätte, dann wäre das bei den anderen Herstellern noch extremer gewesen. Bei Ducati gibt es mit Jorge Martin, Marc Marquez und dem Rest des aktuellen Kaders schon jetzt einen Trichter für die wenigen freien Plätze für 2025 und darüber hinaus.
Hätte der MotoGP-Weltmeister von 2021 auf eine Desmosedici umsatteln wollen, hätte er den Weg über ein Satellitenteam gehen müssen – mit dem offensichtlichen finanziellen und Status-Nachteil, den dies mit sich gebracht hätte.
Bei KTM waren die Aussichten für Quartararo nicht viel anders als bei Ducati, vor allem nach dem explosiven MotoGP-Debüt von Pedro Acosta, mit dem die österreichische Gruppe in die Zukunft gehen will. Und wenn Ducati und KTM schon Kompromisse gewesen wären, dann wäre der Gedanke, bei Honda zu unterschreiben, für Quartararo noch weniger logisch gewesen.
Schließlich ist das Loch, in dem sich der Hersteller aus Tokio befindet, genauso tief ist wie das, in dem Yamaha gerade steckt. Der einzige Unterschied: Honda ist noch immer in den eigenen Strukturen festgefahren.
Text von Oriol Puigdemont, Übersetzung: Mario Fritzsche
Quelle, Infos, Hintergrundberichte: www.motorsport-total.com/
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