(Motorsport-Total.com) – Das Prinzip, dass wenn etwas schiefläuft, es immer noch schlimmer werden kann, passt zu Honda wie die Faust aufs Auge.
Das Team hat in den vergangenen zwei Wochen den Tiefpunkt erreicht. Weder Marc Marquez, Alex Rins noch Joan Mir, seine drei konkurrenzfähigsten Fahrer, nahmen an den letzten beiden Rennwochenenden auf dem Sachsenring und in Assen teil, da sie verletzt waren.
Der eklatanteste Fall ist der von Marquez, der tragenden Säule des gesamten Teams, der sich entschied, am Sonntag nicht in Deutschland zu fahren, nachdem er in zweieinhalb Tagen fünf Stürze mit mehreren Knochenbrüchen zu verzeichnen hatte.
Obwohl der Spanier zum Grand Prix der Niederlande reiste und sowohl am Freitag als auch am Samstag auf die Strecke ging, setzte er am Sonntag erneut aus. Schuld war eine gebrochene Rippe, die er sieben Tage zuvor zugezogen hatte und die ihm im Verlauf des Wochenende zunehmende Schmerzen bereitete.
Honda, der weltweit größere Motorradhersteller, liegt am Ende der Konstrukteurstabelle und es gibt keine Anzeichen dafür, dass sich dieser Niedergang verlangsamt.
Marquez ging in diese Saison mit dem einzigen Ziel, wieder auf die Siegerstraße zurückzukehren, nachdem er infolge eines Oberarmbruchs im Juli 2020 die härteste Zeit seines Lebens durchgemacht hatte. Vier Operationen brauchte es, um sich vollständig zu erholen. 2023 wollte der Spanier endlich wieder voll angreifen.
Doch drei Monate sind vergangen und Marquez hat bisher in keinem Sonntagsrennen die Zielflagge gesehen. Die Verzweiflung ist ihm mittlerweile anzumerken, was den Argumenten derjenigen nur noch mehr Gewicht verleiht, die glauben, dass seine einzige Chance, seine Ziele zu erreichen, eine Trennung von Honda ist.
Diese Umstände führten geradewegs in die Krise
Dabei scheint Honda zu wissen, wie man die Situation umkehren kann, aber ist nicht bereit, die notwendigen Änderungen vorzunehmen, um eine effektive Besserung zu erreichen.
Die Corona-Pandemie hat bei Honda, Yamaha und Suzuki verheerenden Schaden angerichtet. Dieses Trio war in dieser Zeit stärker betroffen als Ducati, KTM und Aprilia, da Japan bis vor kurzem stillgelegt war. Tatsächlich benötigte der gesamte WM-Tross, der im vergangenen September zum Japan-Grand-Prix nach Motegi reiste, immer noch ein spezielles Visum, um in das Land einzureisen.
Dieser Umstand fiel mit der langfristigen Abwesenheit von Marquez, der ein Jahr lang keine Rennen fuhr, sowie den offensichtlichen Fortschritten von Ducati, Aprilia und KTM zusammen, wobei Ducati das Feld nicht nur in Bezug auf die Performance, sondern auch zahlenmäßig mit acht Motorrädern dominiert.
So gerieten die japanischen Hersteller, von denen sich Suzuki Ende 2022 zurückzog, massiv ins Hintertreffen. In beiden Unternehmen gibt es Personen, die eine Diagnose ihrer Probleme und entsprechende Lösungen haben. Doch es handelt sich um ein sehr sensibles Thema, was es schwierig macht, offen darüber zu sprechen.
Der Kern der Sache ist kulturell bedingt, und niemand will sich öffentlich äußern. „Japanische Ingenieure, vor allem die von Honda, sind sehr stolz“, sagt uns ein Techniker, der seit fast zehn Jahren mit japanischen Teams zusammenarbeitet.
„Und das hindert sie daran, anzuerkennen, dass ihre europäischen Kollegen ihnen in bestimmten Bereichen wie der Aerodynamik vielleicht voraus sind.“ Dieselbe Quelle vergleicht die Situation mit Aston Martin, die in der Formel 1 von einer Saison zur nächsten von Platz sieben auf Platz drei in der WM aufgestiegen sind.
Vergleich zur Formel 1: Macht es wie Aston Martin
„Was sie getan haben, ist, wichtige Leute von den Teams zu verpflichten, die gewonnen haben, in diesem Fall Red Bull und Mercedes“, fügt der Insider hinzu und verweist unter anderem auf die Verpflichtung von Dan Fallows und Eric Blandin.
Honda verpflichtete Ken Kawauchi als technischen Manager für 2023, nachdem Suzuki die MotoGP verlassen hatte. Man wollte damit auch die Kommunikation zwischen dem Team an der Strecke und dem Werk in Japan straffen. Aber alles, was durch den Wechsel gewonnen wurde, ist ein bisschen mehr Ordnung.
Abgesehen von Marquez, der natürlich die meiste Aufmerksamkeit auf sich zieht, ist Hondas regelmäßigster Sprecher Teammanager Alberto Puig. Entscheidungen auf operativer Ebene werden jedoch von der HRC-Führungspitzw unter der Leitung von Koji Watanabe, dem Präsidenten, getroffen und durch Shinichi Kokubu, den technischen Direktor, und Testuhiro Kuwata, den HRC-Direktor, artikuliert.
Dieses Trio müsste den Einsatz von Fachspezialisten in den Bereichen genehmigen, in denen die RC213V anderen Prototypen unterlegen ist, zum Beispiel der Aerodynamik.
Nach unseren Informationen kommt die Möglichkeit, dass Honda leitende und erfahrene Ingenieure von einem anderen Hersteller als den japanischen anheuert, zumindest kurzfristig aber nicht infrage. Das lässt sich auch zwischen den Zeilen lesen, wenn man den Auftritt von Marquez und Puig in Assen am Sonntag betrachtet.
„Wir haben das Problem nicht an der Wurzel gepackt, und so haben wir es auch nicht gelöst“, antwortete Puig auf die Frage, wie viel Zeit es hypothetisch in Anspruch nehmen werde, um sich von der Krise zu erholen. „Wir sind weit hinter unseren Konkurrenten zurück, wir sind weit zurück. Es wäre zu optimistisch, zu glauben, dass wir in zwei Monaten ein konkurrenzfähiges Motorrad haben werden.“
Was die europäischen Hersteller besser machen
„Die europäischen Marken waren in den vergangenen Jahren sehr aggressiv bei der Entwicklung von Motorrädern und sind Risiken eingegangen. Die Japaner sind viel konservativer, aber mit dem, was derzeit auf dem Tisch liegen, und angesichts der Ergebnisse müssen sie die Herangehensweise sicherlich ändern und reaktiver sein.“
Das Besorgniserregende daran ist nicht die Zeit, die es dauern würde, sondern dass noch nicht einmal die Grundlagen geschaffen wurden. Marquez seinerseits umschiffte das Thema, als er direkt gefragt wurde, ob er versucht habe, seine japanischen Bosse zu überzeugen, bei Ducati, KTM oder Aprilia nach Talenten zu suchen.
„Natürlich liegt mir das Projekt am Herzen und ich hatte schon Meetings, wie das in Österreich letztes Jahr, die in diese Richtung gingen“, antwortete Marquez.
„Aber der Fahrer bewertet mit seinem Feedback, wie das Projekt voranschreitet. Und gestern (am Samstag; Anm. d. R.) bin ich das gleiche Motorrad wie in Portimao gefahren, weil die Dinge, die neu angekommen sind, nicht funktioniert haben.“
„Es liegt an den Leuten, die die Entscheidungen treffen, ihren Job zu machen, denn ich habe genug damit zu tun, das Maximum aus dem Motorrad auf der Strecke herauszuholen. Es gibt Dinge, die liegen nicht in meiner Hand“, so Marquez.
Text von Oriol Puigdemont, Übersetzung: Juliane Ziegengeist
Quelle, Infos, Hintergrundberichte: www.motorsport-total.com/
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