(Motorsport-Total.com) – Valentino Rossi entdeckte den Rennsport, indem er einst auf den Straßen von Tavullia mit allem fuhr, was Räder hatte.
Er spielte mit seinen Freunden, scherzte und es juckte ihn immer, zu gewinnen. Der Wettbewerbsgedanke, der später zu seinem Markenzeichen wurde, war schon im Kindesalter vorhanden.
Wie in einem Spiel betrat der junge Rossi im Jahr 1996 die Bühne der Motorrad-Weltmeisterschaft. Er fuhr zum Spaß weiter, nahm seine Freunde zu den Rennen mit und verwandelte das Fahrerlager in einen Spielplatz für seinen „Chihuahua-Stamm“.
Aus reinem Spaß gewann Rossi wieder und wieder. Er wurde 125er- und 250er-Weltmeister, stieg in die 500er-Klasse auf und wollte weiter Spaß haben. Er machte Scherze mit Kollegen und auch mit Rivalen. Er verließ Honda, den größten Motorradhersteller er Welt, um nach drei WM-Titeln zu beweisen, dass nicht die Maschine, sondern der Fahrer gewinnt. Er wechselte zu Yamaha, wo er weiterhin Rennsiege feierte und weitere WM-Titel errang.
Rossi verließ die Motorrad-WM im November 2021 in Valencia – nach einem Vierteljahrhundert, in dem er den Rennsport wie ein Kind genoss und ein Vermächtnis hinterlassen hat, an das kaum jemand herankommen wird.
Bevor er jedoch eines der brillantesten und erfolgreichsten Kapitel in der Welt des Sports zum Abschluss brachte, pflanzte Rossi einen Samen in Form eines eigenen MotoGP-Teams. Das VR46 Racing Team ist die Frucht der VR46 Riders Academy in Tavullia. Es ist die Fortsetzung dessen, was für Rossi einst auf den Straßen des Orts, in dem er aufwuchs, als Spiel begonnen hatte.
In der zweiten MotoGP-Saison von VR46 – übrigens genau die Anzahl an Saisons, die er als Fahrer in jeder Klasse benötigte, um den WM-Titel zu erringen – tragen die außergewöhnlichen Ergebnisse des Teams den Stempel des authentischsten Rossi. Sie tragen den Stempel des jungen Mannes, der WM-Titel zum Spaß gewann, und der jetzt, durch die jungen Fahrer der Akademie, sein Erbe lebendiger hält denn je.
Wenn der Titelgewinn von „Pecco“ Bagnaia oder die Siege von Franco Morbidelli die Arbeit der Akademie hervorgehoben haben, dann ist der Triumph von Marco Bezzecchi vom vergangenen Sonntag in Termas de Rio Hondo die Bestätigung für das Projekt, das 2014 gestartet wurde.
„Ich konnte mir so etwas nicht vorstellen“, sagte Bezzecchi nach seinem ersten MotoGP-Sieg. „Ich hatte alles mögliche im Kopf, dachte aber niemals an so etwas. Um ehrlich zu sein freue ich mich für das Team am meisten. Denn ohne sie, ohne ‚Vale‘ und ohne die Akademie wäre das einfach nicht möglich gewesen.“
„Die Idee der Akademie wurde 2013 geboren als ein paar junge Fahrer zusammen mit ‚Vale‘ zum Trainieren ins Fitnessstudio gingen“, erinnert sich Alessio „Uccio“ Salucci, VR46-Teamdirektor und Rossis bester Freund. Diesen jungen Fahrern gab Rossi laut „Uccio“ damals „einige Ratschläge und half ihnen bei einigen Dingen, nichts Ernstes“.
„Eines Tages“, so „Uccio“ weiter, „bat mich Franco [Morbidelli], ihm bei der Suche nach einem Overall zu helfen, weil er keine Marke finden konnte, die ihn sponsern würde. Da habe ich ihm geholfen. Und dann habe ich mich gefragt, ob es nicht eine gute Idee wäre, das ernsthaft zu machen und eine Akademie zu gründen. Ich sprach mit ‚Vale‘ und er fragte zurück: ‚Willst du daran arbeiten?‘ So fing alles an.“
Die VR46 Riders Academy wurde 2014 ins Leben und Morbidelli war ihr erster Schüler. Ihm folgte eine Reihe junger italienischer Talente – einige mit großem Erfolg, wie Bagnaia – andere, die sich als Misserfolg erwiesen, wie Romano Fenati.
Als die Akademie erschaffen war, wurde der Plan dahingehend ausgeweitet, ein eigenes Team in der WM an den Start zu bringen. VR46 trat zunächst in der Moto3- und später in der Moto2-Klasse an. Seit dem vergangenen Jahr ist das Team in der Königsklasse am Start.
Und weniger als zwei Jahre nach dem Debüt in der Königsklasse hat das Team aus Tavullia seinen bisher größten Erfolg errungen: den ersten Sieg mit Bezzecchi am vergangenen Sonntag beim Grand Prix von Argentinien.
Das Erfolgsrezept der Akademie ist ganz einfach. Der Spaß steht im Mittelpunkt, ohne dass man sich um etwas anderes kümmern muss. Die Fahrer arbeiten, trainieren und kämpfen miteinander. Sie hören auf die Ratschläge von Rossi und fordern sich gegenseitig heraus. Es gibt ständig Kämpfe und Duelle, immer auf der Suche danach, schneller als der andere zu sein. Bei all dem kümmert sich eine Gruppe vertrauenswürdiger Profis um alles andere: Verträge, Essen, Reisen, Events.
In einem kürzlich geführten Interview erklärte Luca Marini, Mitglied der VR46-Akademie, Stammfahrer bei VR46 in der MotoGP-Klasse und Rossis Halbbruder, wie junge Fahrer durch Rivalität lernen und wachsen. „Ich sehe ‚Vale‘ auf der Ranch, wo er nach mir einer der Stärksten ist“, so Marini mit einem Lachen. „Mit ihm zu kämpfen ist immer produktiv, sehr interessant. Er hat etwas mehr als der Rest der Fahrer. Wenn man mit ihm kämpft, kann man das spüren.“
„Ich bin immer der Schnellste von allen [auf der Ranch]. Ich fahre immer mit ‚Vale‘. Wir kämpfen und er versucht immer, mich zu schlagen. Er hat ein paar Tricks mehr drauf als die anderen. Man kann viel von ihm lernen. Selbst in seinem Alter hat er immer etwas mehr als der Rest“, betont Marini, der am vergangenen Samstag im Sprint in Termas de Rio Hondo sein erstes Top-3-Ergebnis als MotoGP-Pilot eingefahren hat.
Morbidelli als der erste Absolvent der VR46-Akademie erklärt das Geheimnis der guten Stimmung der Fahrer untereinander und wie sie in ihrer Arbeit wachsen: „Wir kämpfen immer sehr hart gegeneinander, sind aber gleichzeitig gute Freunde. Wir halten nichts zurück und sind sehr offen miteinander. Wir haben keine Angst davor, den anderen mal einen Rempler mitzugeben und es zu sagen, wenn jemand ein Idiot war. Wir sind eine tolle Truppe. Das zeigt sich auch auf der Strecke, in unserer Performance und wie wir kämpfen.“
Ein weiteres Geheimnis ist die Professionalisierung der Akademie und des Teams – ein Prozess, der stets einen gemeinsamen Nenner hatte: die Schlüsselpositionen mit Rossis vertrautesten Personen zu besetzen. Rossis bester Freund „Uccio“ ist der „Boss“. Aber neben ihm wird das Unternehmen VR46 von Menschen geleitet, die schon immer mit Rossi zusammengearbeitet haben.
Teammanager ist Pablo Nieto. Der Sohn von Angel Nieto ist Rossis Freund, seit der Italiener in der WM debütierte und mit dem er sowohl auf den Rennstrecken als auch in den Sommern auf Ibiza eine große Verbundenheit entwickelt hat. Matteo Flamigni, viele Jahre lang der Dateningenieur an Rossis Motorrad mit der Startnummer 46 bei Yamaha und Ducati, ist Bezzecchis Crewchief. David Munoz, Rossis letzter Crewchief, arbeitet nun in dieser Funktion für Marini.
Coach Idalio Gaviria war zunächst bei VR46 in der Moto3-Klasse und später, von 2019 und bis 2021, Rossis eigener Coach. Kommunikationschef Pol Beltran wurde von Rossi in dessen Abschiedssaison bei RNF entdeckt. Er arbeitet jetzt für Marini. Und auch Dario Decio, Leiter der Hospitality, und Mighelone Quarenghi, der Koch im VR46-Team, sind Personen, mit denen Rossi im Verlauf seiner langen WM-Karriere zusammengearbeitet hat.
Zu guter Letzt, und das ist wahrscheinlich das Wichtigste, verkörpert jedes einzelne Mitglied der Akademie und von VR46 eine grenzenlose Hingabe und Loyalität zu Rossi. Sie bewundern und respektieren ihn so sehr, dass sie unermüdlich für seinen Erfolg arbeiten. Tatsächlich besteht das aktuelle MotoGP-Team VR46 zu 80 Prozent aus Leuten, die entweder mit dem Team aus der Moto3- und Moto2-Klasse aufgestiegen sind und/oder mit denen Rossi während seiner aktiven Karriere gearbeitet hat.
Ein Beispiel für den Zusammenhalt und die Loyalität, die innerhalb der Akademie herrscht, konnte man am vergangenen Sonntag nach dem Moto3-Rennen in Termas de Rio Hondo sehen.
Andrea Migno, der Mitglied der VR46-Akademie ist, in diesem Jahr aber kein Vollzeitfahrer ist, sprang im CIP-Team für den verletzten Lorenzo Fellon ein. Der Italiener fuhr direkt auf das Podium. Seine ersten Gratulanten im Parc Ferme waren Bagnaia, Marini, Bezzecchi, Morbidelli, Flamigni, „Uccio“ und Co. Das Foto wurde von Rossi selber in einer Story auf seinen Social-Media-Kanälen hochgeladen.
Ein anderes Foto vom vergangenen Sonntag, an das man sich erinnern wird, ist das von Bezzecchi auf dem Podium, wo er das Trikot der argentinischen Fußballnationalmannschaft trägt. Es war eine Hommage an den Triumph von Rossi in der Saison 2015 auf derselben Strecke.
„The Doctor“ feierte seinen Sieg auf dem Podium in einem Trikot des von ihm bewunderten Diego Armando Maradona. Dazu sang Rossi damals „Mama, ho visto Maradona“ – jenes Lied, das seine engsten Freunde in Valencia 2021 für ihn in der Box anlässlich seines Rücktritts sangen.
Text von German Garcia Casanova, Übersetzung: Mario Fritzsche
Quelle, Infos, Hintergrundberichte: www.motorsport-total.com/
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